Allgemein Fundstücke Putzmacherei und Putzmacherin

Der Graf und die Putzmacherin

Der Titel sagt eigentlich schon alles. Wir erwarten: Liebe, Unglück, Klassenunterschiede, (k)ein gutes Ende … und, was soll ich sagen: Alles richtig.

Porträt einer jungen Dame, Detail aus "Le Moniteur de la Mode" von 1847
Detail aus „Le Moniteur de la Mode“ von 1847

Erschienen ist diese „Novelle nach Thatsachen“ 1847, und wieder einmal im „Humorist“, den ich ja bereits einmal vorgestellt habe. Da ging es um „Die arme, häßliche Putzmacherin„, und die Geschichte ging – ja, jetzt aber selbst nachlesen!
Beim „Graf und die Putzmacherin“ wird als Autor Heinrich Flügge genannt – und jetzt wird es undurchsichtig. Unter allen Menschen dieses Namens wäre passend Heinrich Friedrich Flügge, Hauptlehrer am Seminar zu Hannover (1825-1893). Er hat ein „Lesebuch für hannoversche Volksschulen“ geschrieben, das 1859 in dritter Auflage vorlag. Von „Flügges Fiebel“ sind dann über 50 Auflagen nachweisbar. Ob es sich dabei um denselben Menschen gehandelt hat, der im Alter von 22 Jahren eine solche „Novelle“ verfasst hatte – quasi als Jugendsünde? Oder war es doch ein anderer „Flügge“? Wir werden es kaum feststellen können.

Die Novelle erschien vom 7. bis 14. August 1847 in sieben Teilen. Der Autor – Heinrich Flügge – wird gebeten, einer ihm bekannten Gräfin eine Putzmacherin zu empfehlen, die zu ihr ins Haus kommen soll. Gesagt, getan, „… (ich) verfügte mich nach der Wohnung einer jungen Putzmacherin, Emilie, die mit ihrer Hände Arbeit ihre kränkliche Mutter ernähren half, eben so schön als gebildet und dabei eine ganz vorzügliche Arbeiterin war.“ Da passt doch wieder einmal alles ganz hervorragend, alle Klischees sind abgedeckt, die zur Putzmacherin passen. Hübsch, aufopferungsvoll, geschickt, gebildet. Flügge fragt Emilie, ob sie der Empfehlung folgen wolle, – sie stimmt zu.

Detail aus einem Modestich aus dem Jahr 1848 mit zwei Frauen
Detail aus einem Modestich aus dem Jahr 1848

Im zweiten Teil erfahren wir dann mehr über die Wohnung und familiären Hintergründe der Putzmacherin. Ihre Mutter, „Bürgerstochter aus einer kleinen Provinzstadt“, war mit ihrem Geliebten nach London gegangen, wo er eine Stelle antreten sollte; das Vorhaben platzte, Emilie wurde geboren, der Vater reiste vor nach Amerika, um beide dann nachzuholen, und verscholl. Seit dieser Zeit ernährte die Mutter aufopferungsvoll sich und ihr Kind.

Detail aus "Le Moniteur de la Mode" von 1847, zwei Damen
Aus „Le Moniteur de la Mode“ von 1847

Flügge wird zum Kaffee gebeten, und er erzählt etwas über die Gräfin, die potenzielle Arbeitgeberin Emilies. Sie wünsche sich nichts sehnlicher, als ihren einzigen Sohn bald verheiratet zu sehen. „Außer diesem Wunsche hat die Gräfin eine ungeheure Leidenschaft für – Moden.“ Ortswechsel, Emilie bei der Gräfin (bei der die Pastorin gerade zu Besuch ist). Emilie soll etwas über die aktuelle Mode berichten. Ein schöner Cliffhanger!

Der vierte Teil besteht dann fast ausschließlich aus Beschreibungen der neuesten Moden, die von Emilie detailreich vorgetragen werden. Für die Leserinnen des „Humorist“ sicher ein besonderer Leckerbissen! Man fragt sich, ob der Autor Heinrich Flügge bei diesem Teil fachliche Beratung gehabt haben mag? Und jetzt, wo es schon so spannend ist – tritt der junge Graf (Bodo) auf. „Ich störe wohl“. Die Floskel war offensichtlich auch damals schon geläufig. Man beschließt, gemeinsam zu frühstücken, und der junge Graf macht Emilie ein schönes Kompliment. In der nächsten Szene ist er allein – und schon unsterblich verliebt …

Detail aus einem Modestich aus dem Jahr 1848, ein Herrn mit Zylinder
Detail aus einem Modestich aus dem Jahr 1848

Nach einigen Tagen eröffnet der Graf seiner Mutter, Emilie heiraten zu wollen, die ihm allerdings die Zustimmung verwehrt. Er sei schon der Gräfin von Segelwald versprochen. Das ist ja nun einmal eine Umkehr der Verhältnisse, sonst werden doch nur Töchter anderen Männern versprochen! Der Graf widerspricht seiner Mutter vehement („Das riecht ja ganz nach Mittelalter!“), und versichert, dass er die Gräfin nie und nimmer heiraten werde. Die Mutter versucht es nun mit den großen Standesunterschieden, – aber auch hier zeigt sich der Graf als moderner junger Mann, der auf solcherlei nichts gibt. Die Mutter versucht es nun moralisch: offensichtlich habe Emilie ihn schlau verführt. Der Graf hat ihr aber seine Liebe noch gar nicht gestanden. Hm. Das letzte Argument der Mutter ist dann die uneheliche Geburt Emilies – aber auch das verfängt natürlich nicht.

Die Geschichte nähert sich ihrem Höhepunkt. Da sie sonst nichts ausrichten kann, ihr Sohn aber noch gar nicht mit Emilie gesprochen hat, setzt sich die Mutter hin, um Emilie einen Brief zu schreiben und vor ihrem Sohn zu warnen. Besser, den Sohn als unedlen Menschen hinstellen als ihn so zu verlieren! Sie kann aber nicht die richtigen Worte finden und schläft ein. Emilie sitzt derweilen bei der Pastorin, als die Nachricht kommt, im Schlosse sei Feuer ausgebrochen. Emilie kann gerade noch die Gräfin retten.

Detail aus einem Modestich aus dem Jahr 1848 mit stehendem Herrn und sitzender Dame
Detail aus einem Modestich aus dem Jahr 1848

Großes Finale. Die Gräfin erwacht aus ihrer Ohnmacht, erfährt, dass Emilie sie gerettet hat, und nimmt sie gerührt als ihre Lebensretterin in die Arme. Das Feuer war im Zimmer der Gräfin ausgebrochen ist; sie erinnert sich und, ja, erzählt von ihrem Plan. Fast eine Beichte – der Pfarrer ist ja auch zugegen. Dann gibt sie ihrem Sohn die Zustimmung zu einer Hochzeit – und jetzt endlich wird auch Emilie einmal gefragt. Besser spät als nie! Emilie ist natürlich einverstanden („den Grafen hatte sie schon längst lieb gewonnen“), und nach dem Wiederaufbau des Schlosses findet die Hochzeit statt – an der auch der Erzähler, Heinrich Flügge, behauptet teilgenommen zu haben.

Braut und Begleiterin im Standesamt, aus "Le Moniteur de la Mode" von 1847
Im Standesamt, aus „Le Moniteur de la Mode“ von 1847

Das war jetzt eine lange Zusammenfassung. Das Stück ist aber ein zu schönes Paradebeispiel für die Herz-Schmerz-Lektüre der späten Biedermeierzeit. Auch später fanden sich solche Schmonzetten vor allem in den großen Familienzeitschriften wie z.B. der „Gartenlaube“. Die Putzmacherin ist hier die stille bescheidene Heldin, und das positive Gegenstück zum anderen Putzmacherinnen-Klischee, in dem sie als vergnügungssüchtiges unsolides lockeres Mädchen der Demi-Monde besetzt ist. Aber das ist eine andere Geschichte.

Den Text folgt hier noch in der Originalfassung:

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