Was für ein fürchterlicher Titel! Und das in einer Zeitschrift, die „Der Humorist“ hieß und in Wien erschien, immerhin herausgegeben vom streitbaren Moritz Gottlieb Saphir, der aufgrund seiner scharfen Zunge mehrfach den Ort, ja das Land seines Schaffens verlassen musste.
„Die arme, häßliche Putzmacherin“ stammt von Johann Peter Lyser und erschien als eine „Erinnerung“ in der Ausgabe vom 14. Oktober 1847. Lyser scheint ein rechter Tausendsassa gewesen sein, Schriftsteller, Zeichner, Maler, und vieles mehr. Er war befreundet mit Heinrich Heine, Clara Schumann vertonte eines seiner Gedichte, er malt ein wichtiges Beethoven-Porträt, und – schreibt über das Schicksal einer armen Putzmacherin.
Die Geschichte beginnt 1812, und da Lyser 1804 geboren ist, wird es sich hier – zumindest im ersten Teil – mehr um eine Erzählung als einen Bericht gehandelt haben. Zum Einstieg wird der seinerzeit schon berühmte E.T.A. Hoffmann zitiert, und so ist die Geschichte gleich richtig eingeführt. Hoffmann kommt nur in den beiden ersten Abschnitten vor, dann hat das „name dropping“ wohl seine Schuldigkeit getan.
Lyser erzählt die Geschichte von Auguste, Tochter der Madame Schneider, bei der Hoffmann im Jahr 1812 einmal kurz gewohnt hatte. Madame Schneider wird als „sehr alt, sehr häßlich“ beschrieben, mit zwei Töchtern, die ihrer Mutter sehr ähnlich waren. Eine dieser Töchter war besagte Auguste, die sich „ehrlich, aber kümmerlich genug“ als Putzmacherin ernährte. Da haben wir sie also, die arme häßliche Putzmacherin! Gleichwohl hatte sie 1812 „ein zärtliches Verhältnis“ mit einem jungen Forststudenten begonnen, und sobald dieser eine eigene Försterstelle erhalten würde, wollten sie heiraten. Eduard hieß der Auserwählte, „ein guter, ehrlicher, schlichter Mensch mit einem fürchterlichen Schnurrbarte, dabei hager und ernst.“
Es kam, wie es manchmal kommt: die Jahre vergingen, und eine Försterstelle war nicht in Sicht. Die Erzählung setzt erneut im Jahre 1831 an. Der Förster, bei dem Eduard beschäftigt ist, stirbt unerwartet. und Eduard hat gute Chancen, sein Nachfolger zu werden – und endlich seine Auguste heiraten zu können! Wenn, ja wenn nicht der Förster eine noch junge Frau mit zwei kleinen Kindern hinterlassen hätte. Der Gutsherr nun befand, dass er die Försterstelle nur demjenigen vergeben wolle, der selbige junge Frau auch heiraten würde. Eduard wäre natürlich der beste Bewerber, und die Witwe – für die dann ja gesorgt wäre – ihm auch zugetan.
Cliffhänger, die Fortsetzung erschien erst in der nächsten Ausgabe (die allerdings bereits am nächsten Tag erschien, „Der Humorist“ erschien viermal die Woche). Für den treuen Eduard war die vorgeschlagene Variante natürlich keine Option, wie er seiner Auguste auch sogleich schrieb.
Nun beginnt der heroische Teil. Der Erzähler (Lyser), der zufällig im Haus ist, wird in der Angelegenheit von Auguste um Rat gefragt, äußert sich aber diplomatisch neutral. Auguste schreibt daraufhin einen Brief an ihren Eduard, er solle das Angebot doch annehmen solle; sie sei über die (19) Jahre alt und häßlich geworden, er dagegen habe die Chance auf die Heirat mit einer jungen hübschen Frau. Außerdem sei sie – was sie bislang verschwiegen habe – „mondsüchtig“, also Schlafwandlerin und wolle ihn damit auch nicht belasten.
Der Brief wird vom Erzähler (Lyser), der ja ein gebildeter Mann ist, noch zur Korrektur gelesen; er erhält dadurch Kenntnis von der Unwahrheit des Schlafwandelns (Lüge klingt hier einfach zu hart). Auguste erklärt ihm, dass sie es Eduard leichter machen wolle, die Stelle auch wirklich anzunehmen. Noch am selben Abend stürzt Auguste „beim Schlafwandeln“ aus dem fünften Stock in den Tod.
“ Eduard erhielt ihren Brief und zugleich die Nachricht ihres Todes die Wahrheit erfuhr er nie. Er hat die junge Försterswitwe geheirathet, ist ein glücklicher Gatte und Vater geworden und starb erst zu Anfang dieses Jahres, seinem ältesten Stiefsohne seine Stelle hinterlassend – als wohlhabender Mann.“
Was für eine heroisch-tragische Geschichte! Mit allem, was das Herz so braucht, und das im „Humorist“. Eduard wurde nach meiner Rechnung übrigens 56 Jahre alt, Auguste 36 Jahre. Dieses Alter reichte, um sie als alt und häßlich zu beschreiben. Zumindest zum Alter kann man nur erfreut feststellen, dass wir heute die Altersgrenze erfreulich weiter nach hinten verschoben haben!
Das Titelbild stammt übrigens aus späterer Zeit von dem Maler Charles Léandre, der von 1862 bis 1934 lebte. Es ist mit „La vieille Modiste“ bezeichnet, was sich als „die alte Putzmacherin“ übersetzt, die aber offensichtlich älter als 36 Jahre ist und in diesem Falle zum Betteln gezwungen zu sein scheint.
Für Kenner und Liebhaber habe ich hier noch die zwei komplette Ausgaben des „Humorist“ eingefügt, die den Originaltext enthalten. Viel Spaß beim Lesen!
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