Diese Abbildung habe ich in den Wikimedia Commons entdeckt. Dabei stand folgender Hinweis:
„Drawn by Chalon in 1822; the lady (wearing a shawl) is giving directions on the making of her new bonnet, while her husband is ogling the shopgirls (who are wearing black aprons). Despite the move away from the clinging quasi-Grecian styles to a more stiffened conical silhouette, the seated woman isn’t wearing so many layers of petticoats that she can’t grip her bonnetmaker’s dummy firmly between her knees.“
Das Blatt sieht nach einer Lithographie aus. John James Chalon hat lt. Wikipedia 1820 ein Buch mit Lithographien „Skizzen der Pariser Manieren“ veröffentlicht. Gemeint sind wahrscheinlich „Twenty-four subjects exhibiting the Costume of Paris / the incidents taken from nature / designed and drawn on stone by J.J. Chalon“, erschienen 1822 bei Rodwell and Martin in London.
Es gibt einige Exemplare in Bibliotheken – und sogar eines im Handel, bei David Brass Rare Books, das dort auch beschrieben wird:
„The plates are captioned: „La Marchande de Tisanne“ „Les Bonnes“ „La Petite Fruitiere“ „La Dame du Café“ „Le Café“ „Les Tondeuses de Chiens“ „Les Brodeuses“ „L’Escamoteur“ „La Porte Cochère“ „Le Journal des Débats“ „Le Restaurant“ „La Loueuse de Chaises“ „Une Matinée aux Thuilleries“ „Le Marchand de Brioches“ „Le Porteur d’Eau“ „Le Petit Décrotteur“ „Le Marche aux Fleurs“ „La Prise de Tabac“ „Les Adieux“ „Les Dames de la Halle“ „Le Cimetiere du Pere la Chaise“ „Les Dames Artistes“ „La Charette du Blanchisseur“ and „La Marchande de Modes“.
Wir kommen der Sache näher – die Bezeichnung „The Millinery Shop“ ist also die (korrekte) Übersetzung von „La Marchande de Modes“. Außerdem können wir der Seite des Antiquars entnehmen, dass es sich um handkolorierte Lithographien handelt. Auf der Seite von David Brass sind auch noch einige Blätter abgebildet – das hier interessierende zwar nicht, aber auch die übrigen sind sehr hübsch.
Immerhin bin ich mit der Suche nun soweit gediehen, dass es mir gelang, beim „British Museum“ ein Bild der kompletten Seite mit der Betitelung und den Angaben zu Künstler, Drucker und Verleger zu finden:
Das wäre also schon mal geschafft.
In Paris gab es einen „Almanach du Commerce de Paris“, herausgegeben von Sébastien Bottin. In der Ausgabe von 1822 finden wir ganz richtig unter den „Marchandes de Modes“ auf Seite 466 folgenden Eintrag:
Damit haben wir die Adresse der Putzhandlung von Madame Simon. Zu „Galeries de Bois“ findet sich wieder Hilfreiches bei Wikipedia:
„In den Jahren 1781 bis 1784 wurde die Galerie de Bois gebaut, rund um den Palastgarten etwa 60 Häuser mit Arkadengängen, die Wohnungen, Läden, Gastronomiebetriebe und Vergnügungseinrichtungen beherbergten. Hier konzentrierte sich das Nachtleben der Hauptstadt. Die Promenade auf der „Allée des Soupirs“ (Seufzerallee) war in ganz Europa berühmt, weil sich dort die schönsten Mädchen und Frauen aus allen Ständen prostituierten, auch Personen aus dem Hochadel wurden dort angetroffen.“
Das Interesse des abgebildeten Herrn gilt ja unzweifelhaft nicht dem Hut, den sich seine Begleiterin begeistert anschaut, sondern einer der Arbeiterinnen. Vor dem Hintergrund des Rufes der Gegend ist die Szene zumindest zweideutig.
Zur „Galerie de Bois“ hatte lt. Wikipedia die Polizei keinen Zutritt, dort konnten also auch freie Reden geschwungen werden; vielleicht verweist das Café „Riz au Gras“, das ich nicht im Verzeichnis verifizieren konnte, auf einen solchen Versammlungsort.
Einen zeitgenössischen Blick in das Palais Royal habe ich dem „Pfennig-Magazin“ vom 11. Mai 1833 entnehmen können, wenn auch mit einem Blick in die Galerie d’Orleans; im Vordergrund links findet sich passender Weise eine Putzmacherin, klar erkennbar an der runden (Hut-)Schachtel.
Übrigens habe ich im „Almanach du Commerce de Paris“ einmal in der Rubrik „Marchandes de Modes“ einmal nachgezählt – und bin auf 131 Einträge gekommen. Allein neun Adressen befanden sich in der Galerie de Bois, die offensichtlich AUCH ein Zentrum der Pariser Putzhandlungen war. Ob 131 Putzhandlungen viel war, vermag ich nicht zu ermessen. Vergleiche mit anderen Zahlen anderer Städte sind immer fragwürdig, wenn auch zweifelsohne – reizvoll.
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