Es war einmal mehr Madame de Genlis, die sich zur moralischen Erziehung junger Damen des Beispiels der Putzmacherin bediente. Im „Théatre d’Éducation à l’usage de la Jeunesse“ findet sich eine „Comédie en un acte“ betitelt „La marchande de modes“. Eine „Marchande de modes“ würde ich mit „Inhaberin eines Putz- oder Modesalons“ übersetzen. „Putzmacherin“ passt ebenfalls, weil es auch um die Produktion weiblicher Hüte geht. Eine wohl oft anzutreffende Mischform …
Mademe de Genlis, oder genauer Madame Stéphanie-Félicité Du Crest, Comtesse de Genlis, Marquise de Sillery lebte von 1746 bis 1830 und ist – sofern heute überhaupt noch – bekannt als Autorin unzähliger moralischer Erzählungen. Außerdem verfasste sie noch sehr umfangreiche „Mémoires inédits sur le XVIII. siècle et la Révolution française“. Die Revolution führte im Übrigen dazu, dass sie 1791 nach England emigrierte und erst 1801 zurückkehren konnte. Diese Emigration ist nicht verwunderlich, da sie am königlichen Hofe als Erzieherin gewirkt hatte. De Genlis war auch als Harfenistin bekannt und verfügte den Quellen nach offensichtlich auch über das, was man als „Esprit“ bezeichnet. Sie war katholisch, und die katholische Ethik und Moral prägt sehr deutlich ihre Schriften.
Vom „Théatre d’Éducation à l’usage de la Jeunesse“ erschien laut Marie Saint Martin (L’Urne et le Rossignol. Représentations d’Électre, antiques et moderne. 2019) eine „nouvelle édition“ bereits 1780; eine andere Quelle nennt eine zweibändige Ausgabe von 1829, und im Netz verfügbar sind auch Ausgaben von 1847 ff. Außerdem gibt es noch Ausgaben von „Théatre à l’usage de jeunes personnes“ (1779-1780) mit vier Bänden … Es ist ein bisschen unübersichtlich. Festhalten kann man, dass diese Werke der de Genlis wohl beliebt waren und verschiedene Ausgaben rechtfertigten. Ich nutze im Folgenden eine Ausgabe des „Théatre à l’usage de jeunes personnes“ von 1781; die „Marchande de Modes“ erschien im vierten Band. Ganz unten habe ich ein PDF mit dem Text beigefügt.
In einer interessanten Studie untersucht Isabel Pinto die Moralvorstellungen, die in der „La Marchande de Modes“ sowie im gleichzeitig erscheinenden „Le Libraire“ widerspiegeln („The Comtesse de Genlis’ Théâtre à l’usage des jeunes personnes (1779–1780): Educating for Order and Prejudice in Pre-revolutionary France“, erschienen in „Children’s Literature in Education (2017), Bd. 48, S. 214–229). Pinto arbeitet sehr präzise heraus, wie sehr de Genlis in der alten Ordnung, die sich auf ein festes System von Klasse, von Oben und Unten, von Patriarchat in Familie und Gesellschaft verhaftet ist. Vielleicht ist es doch nicht so überraschend, dass ihre Bücher später in der Zeit der Restauration wieder aufgelegt wurden.
Im „Théâtre“ zeigt de Genlis in einer Vielzahl kurzer Stücke (die primär für das häusliche Nachspielen gedacht waren), wie man sich im Leben, in der Familie und in der Gesellschaft zu verhalten habe. Der Lerneffekt sollte insbesondere dadurch erreicht werden, dass man die Rollen ja auswendig lernen musste, und dadurch die Inhalte noch besser aufnehmen konnte.
Die Geschichte spielt im Modesalon der Madame Dupré. Sie – ursprünglich vom Lande kommend – hat ihn sich nur dank der Unterstützung ihrer Gönnerin, Madame de Clément, aufbauen können, bei der sie einmal in Diensten gestanden hat. Merke: Der Adel kümmert sich um das Wohl der einfachen Leute! Bei Madame Dupré arbeiten Justine, die am längsten da ist, sowie vier andere junge Mädchen. Madame Dupré versteht sich als „Mutter“ ihrer jungen Arbeiterinnen und wiederholt hier das Motiv der Fürsorge, die sie selbst auch erfahren hat. Im weiteren Verlauf geht sie zu ihrer Gönnerin, Justine bleibt quasi als Verantwortliche zurück. Auftritt die Baronin d’Elsac, die vorzeitig eine Bestellung abholen will und kein Verständnis dafür hat, dass bei Madame Dupré offensichtlich Nachtarbeit vor einem Feiertag (um noch schnell ihre Bestellung fertig zu machen) nicht üblich ist. Deutlich wird: bei Madame Dupré gibt es moralische Prinzipien! Als die Baronin unwirsch das Etablissement gerade verlassen möchte, trifft die Marquise de Lincé ein, die Tochter von Madame de Clément, der Gönnerin von Madame Dupré. Sie ist freundlich und verständig und das offensichtliche Gegenstück zur arroganten Baronin d’Elsac. Die Marquise ist eigentlich gekommen, um zum einen Madame Dupré zu fragen, ob sie jemanden als Dienerin empfehlen kann, und zum anderen, um sie darum zu bitten, ein Mädchen vom Lande aufzunehmen und anzulernen. Madame Dupré stimmt letzterem selbstverständlich zu und vermittelt Justine an die Marquise de Lincé, so dass sich die Geschichte wiederholen kann: wie sie selbst von der Fürsorge von Madame de Dupré profitiert hat, so könnte es sich jetzt bei der Marquise de Lincé und Justine wiederholen.
Das ist ungefähr der Hauptstrang des Stückes; nebenbei gibt es noch etwas zu lernen über gute und richtige Lektüre, die Mildtätigkeit der besseren Gesellschaft, die richtige Haltung gegenüber Höhergestellten usw. usf. Ganz schön viel Moral, sehr einfach und direkt formuliert. Das war wohl auch beabsichtigt, denn im Vorwort zum „Théâtre“ wird von Madame de Genlis konkretisiert, dass die Stücke explizit für die Bildung der Kinder von Kaufleuten, Handwerkern usw. gedacht sind:
Der gesamte Text hier noch einmal zum Nachlesen:
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