
Selbst Rainer Maria Rilke nutzt das Bild – soll ich sagen: Klischee? – der Modistin in seinen Duineser Elegien. In der fünften Elegie trägt sie den Namen des Todes, „Madame Lamort“:
Platze, o Platz in Paris, unendlicher Schauplatz,
Duineser Elegien, 5. Elegie, Zeile 89-95
wo die Modistin, Madame Lamort,
die ruhlosen Wege der Erde, endlose Bänder,
schlingt und windet und neue aus ihnen
Schleifen erfindet, Rüschen, Blumen, Kokarden, künstliche Früchte-, alle
unwahr gefärbt,- für die billigen
Winterhüte des Schicksals.
Wertschätzend gegenüber den Erzeugnissen einer Modistin bzw. Putzmacherin scheint Rilke nicht gewesen zu sein: „unwahr gefärbt“, „Billige Winterhüte“ – oder soll damit nur die Erbärmlichkeit des Todes gemeint sein? Rilke hatte ja am ersten Weltkrieg teilgenommen, wenn auch nicht an der Front, wohl aber nah genug, um von den Kriegsereignissen erschüttert, ja vielleicht sogar traumatisiert zu sein. Die Duineser Elegien wurden bereits 1912 begonnen; Rilke stellte sie erst am 14.2.1922 in der Schweiz fertig, nach langer Schaffenspause, in der die Arbeit daran geruht hatte.
Die fünfte Elegie thematisiert die Gaukler, das fahrende Volk, die entwurzelte Existenz, ihre Unvollkommenheit und ihr Leiden. Aus dieser Perspektive betrachtet ist es wohl kein Wunder, dass die Modistin nicht als diejenige erscheint, die schöne, schmückende Hüte verfertigt und für das gute Leben stehen könnte.
Im Internet habe ich einen beeindruckenden Vortrag der (hier: fünften) Elegie gefunden, den ich hier einmal einfüge:

https://www.dorftv.at/video/21566
Vielleicht noch ein Wort zu Herta Koenig, der Rilke diese Elegie gewidmet hat.

Sie scheint eine sehr beeindruckende Frau gewesen zu sein, wie der Biographie von Hertha Koenig bei Wikipedia zu entnehmen ist. Das folgende Zitat möge als Zusammenfassung dienen.
„Hertha Koenig lebte von 1884 bis 1976 und war Schriftstellerin, Mäzenin und Kunstsammlerin. In den 1920er Jahren wurde sie zusammen mit Ricarda Huch zu den bedeutendsten Lyrikerinnen ihrer Zeit gezählt. Ihre Lyrik erschien im Insel-Verlag, ihre Prosa bei S. Fischer. Nicht nur Rainer Maria Rilke, der ihr seine 5. Duineser Elegie widmete, auch Marie von Ebner-Eschenbach, Oskar Maria Graf, Alfred Schuler, Carl-Jacob Burckhardt gehörten zu ihrem Freundeskreis. Viele von ihnen zählten ebenso zu ihren Gästen auf Gut Böckel, wie auch der spätere Bundespräsident Theodor Heuss und der Philosoph Martin Heidegger.“
https://www.gutboeckel.de/hertha-koenig/organisation-und-ziele/
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