Fundstücke Putzmacherei und Putzmacherin

Die Tristesse einer Modistin

Beim französischen Auktionshaus „Ader“ wurde kürzlich ein Foto von Édouard Boubat (1923-1999) versteigert, das meine Aufmerksamkeit weckte. Es handelte sich um einen Silbergelatine-Abzug mit dem Titel „L’âne de la vitrine de la modiste“, also „Der Esel (in) der Auslage / Vitrine der Modistin“. Entstanden ist das Bild im Jahr 1954 in der Auvergne, die bekanntermaßen eine sehr arme Gegend Frankreichs war und auch heute nicht als wohlhabend gelten kann.

Fotografie von Édouard Boubat, "lâne de la vitrine de la modiste", aus dem Jahr 1954
Fotografie von Édouard Boubat, „lâne de la vitrine de la modiste“, aus dem Jahr 1954

Eigentlich gibt es hier nichts mehr zu sagen, das Bild spricht für sich. Die Tristesse des Ladens, die Dürftigkeit der Straße mit dem Esel und seinem Führer ist fast körperlich spürbar. Man meint geradezu den etwas abgestandenen, muffigen Geruch wahrzunehmen, der dort herrscht. Ein einziger Hut ziert die Auslage, mehrere Hutständer sind leer; symmetrisch sind zwei Wollknäuel platziert, es bleibt unklar, ob sie zu verkaufen sind oder den „horror vacui“ bekämpfen sollen. Auf jeder Seite sehen wir Blumentöpfe, deren vertrocknete Sprossen sich unter der Decke in einem dürren Geflecht verzweigt haben; an manchen Stellen gibt es sogar ein einzelnes Blatt zu bestaunen. Von oben hängt eine Spitzengardine herunter, und das Fenster wird außerdem durch eine Gardinenstange auf halber Höhe geteilt. Fast mittig hängt hier die zusammengeschobene dicke Gardine und bietet uns die Möglichkeit, rechts und links aus dem Fenster zu schauen. Drinnen vor dem Fenster steht ein kleiner Arbeitstisch, vermutlich der Platz, der das beste Licht hatte. Und links im Bild dann eine weibliche Hand, von der wir annehmen dürfen, dass sie der Modistin gehört, die nach draußen zum Esel zeigt, der vor einen zweirädrigen Karren gespannt ist. Herr und Esel stehen an einer Ecke, die Aufmerksamkeit in die nach rechts führende Straße gerichtet, jedenfalls – woanders hin.

Das Bild zeigt nun einmal eine weitere Facette der Putzmacherei, die eben nicht nur in schicken Läden mit eleganten Hüten und reicher Ausstattung stattfand, sondern auch in ärmlicheren Gegenden, in denen auch der Bedarf sich wahrscheinlich auf wenige Hüte beschränkte. Vielleicht besaß die Auvergnerin einen Sonntagshut, einen Hut für Trauer und einen für kalte Tage. Und vielleicht überdies noch ein oder zwei Hauben, der Bequemlichkeit halber und in der zweiten Lebenshälfte. Einen modischen Putzmacherei-Salon, den brauchte man dafür – nicht.

Dem Fotografen Edouard Boubat war es laut Wikipedia eiin Anliegen, die Menschen „friedvoll“ und in ihrer Umgebung gut eingebunden darzustellen, sie auf jeden Fall nicht bloßzustellen; es stehe „weniger das prätentiöse, Aufsehen erregende im Vordergrund, als vielmehr die bildnerische Erkundung der Welt und ihrer Bewohner“.

Das passt.

© Copyright Anno Stockem 2025

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