Eine sehr frühe Dissertation zum Thema Modepresse verfasste Erna Lehmann, über die sonst leider keine weiteren Informationen – über das selbst geschriebene „Curriculum Vitae“ hinaus – vorliegen. (Lehmann, Erna: Die Entwicklung und Bedeutung der modernen deutschen Modepresse. Heidelberg o.J. (1914)). Sie wird u.a. auch von Anna Zika als eine der ersten wissenschaftlichen Quellen zu diesem Thema zitiert. Zikas Buch kann als direkte Fortsetzung der Dissertation von Lehmann gelesen werden. (Zika, Anna: Ist alles eitel? Zur Kulturgeschichte deutschsprachiger Modejournale zwischen Aufklärung und Zerstreuung 1750-1850. VDG, Weimar 2006, S. 175 ff.)
Mit Überraschung und etwas Amusement nimmt man zunächst die Literaturliste zur Kenntnis mit insgesamt 10 (!) Positionen. In der Einleitung erläutert Lehmann die Quellenlage aber ausführlicher. Sie hat nach eigenem Bekunden die Zeitschriftenbestände der damals schon existierenden „Frhrl. v. Lipperheideschen Kostümbibliothek“ genutzt und alle dort vorhandenen deutschen Modezeitungen durchgesehen. Das muss bereits damals eine sehr umfangreiche Arbeit gewesen sein.
Lehmann beklagt die schlechte statistische Datenlage und hat selbst Daten aus Zeitschriften-Katalogen erhoben. „Auf eine geplante Untersuchung über die Höhe und das Anwachsen der Auflagenziffern musste wegen der absoluten Unmöglichkeit der Materialbeschaffung verzichtet werden“ (a.a.O., S. 10). Ihre Anfrage an den Verein der Fachpresse mit Bitte um Zahlen „wurde in unliebenswürdiger Weise beantwortet“(ebd.). Lediglich beim Ullstein Verlag und beim Verlag Gustav Cords erhielt sie Zahlen. Zum Schluss ergänzt sie noch: „Als Literatur kommen bei der Arbeit außerdem in Betracht alle einschlägigen Werke über Mode, Mode und Wirtschaft usw.“ (ebd.). Nicht sehr spezifisch, aber erhellend.
Das Inhaltsverzeichnis ist insofern beachtenswert, als hier bereits sichtbar wird, dass der Vergleich mit Frankreich und der dortigen Modepresse quasi das Referenzmodell bildet. Außerdem wird der Umfang der Dissertation deutlich: Nach der Schlussbetrachtung auf Seite 54 (geht bis S. 55), ist wohl alles gesagt. Dieser Umfang einer Dissertation ist aber für die Zeit nicht untypisch.
„Es hat niemals eine deutsche Mode gegeben, also auch keine deutsche Modezeitung“ (a.a.O., S.11). Erna Lehmann beginnt ihren Text mit einer zunächst überraschenden Erklärung. „Unter „Mode“ vesteht man die französischen Formen der Kleidung“ (ebd.). So zitiert sie Schulz, Alltagsleben einer deutschen Frau zu Anfang des 18. Jahrhundert (1890), und es erklärt sich eben durch das Nicht-Vorhandensein einer deutschen Mode auch das Fehlen enstprechender Zeitungen. (Gemeint war wohl Schultz, Alwin: Alltagsleben einer deutschen Frau zu Anfang des 18. Jahrhundert, Hirzel, Leipzig 1890).
Im Folgenden führt Lehmann aus: „Die Modezeitung von heute ist technisches Journal und für das Schneideratelier bestimmt“. (a.a.O., S.17). Sie wird dazu Mitte des 19.Jh. durch den Fortschritt des Kapitalismus, durch Massenproduktion und einer durch die Produzenten getriebenen Mode, die nicht mehr aus der Lust an der Gestaltung von Kleidung getrieben wird. „Der Zweck und die ausschließliche Bestimmung des modernen Journals ist die bewußte Propagierung und das herrschaftsmäßige Aufdrängen einer Mode, eine Aufgabe, die es löst einfach durch die in seinen bildlichen Darstellungen enthaltene kategorische Erklärung: das und das ist in dieser Saison modern“ (a.a.O., S. 36). Weiter führt Lehmann aus: „Die Modezeitungen sind ein Teil des gewaltigen Reklameapparates, durch den die Produzenten die Konsumenten zu beeinflussen versuchen, …“ (ebd.).
Diesen Mechanismus zeigt Lehmann im Folgenden auf und diskutiert die Rolle des Produzenten und die des Konsumenten, wobei sie sehr deutlich auch die unterschiedlichen Zielgruppen beleuchtet. Sie beschließt ihre Arbeit mit einer interessanten und etwas kryptischen volkswirtschaftlichen Einschätzung, die hier komplett zitiert wird:
„Im volkswirtschaftlichen Prozeß werten wir die Mode vielmehr als die belebende Kraft innerhalb unserer Wirtschaft, schätzen sie ihrer charakteristischen Propagierung des ewig Wechselnden in der äußeren Erscheinung und der dadurch immer neu geschaffenen Bedürfnisse wegen, deren Einwirkung auf die Volkswirtschaft eine ungeahnte Entfaltung aller Kräfte zu ihrer Befriedigung zeitigt und schätzen die Modezeitung als ihr bestes Mittel zur Erlangung dieses Endzwecks.“
Lehmann, Erna: Die Entwicklung und Bedeutung der modernen deutschen Modepresse. Heidelberg o.J. (1914), S. 55
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