Fundstücke Textiles

Eine Mode-Karriere: als Direktrice in Berlin

Der Berufsweg von Bertha Orzelski ist vielen sicher bis dato unbekannt. Das wird sich mit der Lektüre dieses Beitrags ändern! Ausgangspunkt ist ein Konvolut unterschiedlicher Dokumente vom Flohmarkt, die ein paar Schlaglichter auf den Lebensweg dieser Berliner Schneiderin und Direktrice von ca. 1920-1950 werfen.

Alle Unterlagen waren lose in eine Mappe eingelegt, die einmal Material von „Hirsch’s Schneider-Akademie“, Berlin, enthalten hat. Das Datum der letzten zwecks Werbung zitierten Auszeichnung, die „Goldene Medaille England“, stammt aus dem Jahr 1897; sie stammt also wohl aus dieser Zeit.

Die Mappe enthält ein schwarzes „Zeichen-Buch“ mit 13 Seiten handgeschriebenem Text („Das Maßnehmen“ usw.) sowie – um 180 Grad gedreht und von der anderen Seite geöffnet – sechs Seiten mit Schnitten.

Der Schrift nach scheinen Text und Schnitte aus unterschiedlichen Zeiten zu stammen. Wie sind sie zeitlich einzuordnen? Interessanter Weise gibt es zu Bertha Orzelski eine „Personenakte Bertha Orzelski“ im Mitgliederverzeichnis der Reichskammer der bildenden Künste. Die Akte wurde ca. 1933-1945 geführt; das Geburtsdatum von Orzelski wird mit dem 05.07.1893 angegeben.

Das scheint ja schon mal zu passen; Bertha Orzelski könnte die Schneider-Akademie nach der Schule besucht und ggf. vor dem 1. Weltkrieg abgeschlossen haben.

Als nächstes Objekt gibt es in der Mappe ein Bündel von Zeichnungen auf Transparenzpapier. Die Zeichnungen stammen dem Stil nach aus den zwanziger Jahren:

Ob Bertha Orzelski sie im Rahmen einer weiteren Ausbildung angefertigt hat, ist nicht festzustellen – ebenso wenig, ob sie wirklich von ihr sind. Der Zusammenhang des Konvoluts lässt dies aber vermuten. Die Zeichnungen sind von guter Qualität; und 1934 konnte sich Bertha Orzelski als „Direktrice“ bezeichnen. So jedenfalls ist sie im Berliner Adressbuch verzeichnet.

Die nächsten Dokumente finden wir in einem Skizzenblock, außen bezeichnet mit „Sommer 1942/46“. Darin finden sich verschiedene Skizzen, eine datiert mit „Winter 1942“ und mit angehefteten Stoffmustern.

Aus etwas späterer Zeit stammen weitere Einzelblätter, die in Farbe und sorgfältig ausgeführt sowie mit der Adresse von Bertha Orzelski versehen sind:

Auch nach dem Krieg hat Bertha Orzelski weiter als Direktrice gearbeitet. Es gibt eine Reihe von Fotografien mit Modellen, die im Stil durchaus zu ihr gepasst haben; eines der Fotos ist in ihrer Handschrift mit einem Datum versehen: Sommer 1953. Damals war sie 61 Jahre alt.

Auch im Berliner Adressbuch von 1961 wird Bertha Orzelski noch als „Direktrice“ geführt. Später (letztmalig im Telefonbuch 1986/87) gibt es dann nur noch eine Bertha Mensch-Orzelski; es ist zu vermuten, dass es sich um dieselbe Person handelt, da der Name Orzelski sonst nirgendwo mehr auftaucht. Sie wäre demnach ca. 1986 oder 1987, im Alter von 93 Jahren, verstorben.

Zum Abschluss noch ein Foto, das möglicherweise Bertha Orzelski zeigt. Rückseitig bezeichnet mit „… Beilke“ und dem Jahr 1950 zeigt es eine Frau, vielleicht Irma Beilke, bei der Anprobe einer Jacke. Ich könnte mir vorstellen, dass es sich bei der Frau links um Bertha Orzelski gehandelt hat …

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