Die Überschrift von Kapitel 20 im „Trostspiegel“ verspricht vergnügliche Lektüre. „Köstliche Bekleydunge“, wenn das mal nicht neugierig macht! Mein Interesse war jedenfalls sofort geweckt, als ich ein Blatt mit dem so benannten Kapitel bei ebay angeboten fand und sogleich erwarb. Es kommt aus dem „Trostspiegel in Glück und Unglück“ von Francesco Petrarca in einer Ausgabe wohl aus dem Jahr 1582 (das Titelblatt war leider nur für die Ausgabe 1584 im Netz zu finden, ebenso die letzte Seite).
Titelbild von Petrarca: Trostspiegel in Glück und Unglück. Frankfurt 1584
Der Text ist eine mehr oder minder genaue Übersetzung des Werkes von Petrarca „De remediis utriusque fortunae„. Die deutsche Übersetzung erschien zunächst unter dem Titel „Von der Artzney bayder Glück“ 1532 in Augsburg. Das Werk wurde damals mit vielen Holzschnitten ausgestattet, deren Schöpfer man in Ermangelung eines anderen Namens nur den „Petrarca-Meister“ nannte. Er gilt als einer der wichtigsten Grafiker seiner Zeit, und seine Bilder spiegeln das Leben der Renaissance aufs lebhafteste wieder. Das Buch erfreute sich – vielleicht gerade wegen der Holzschnitte? – einer großen Beliebtheit und erschien in weiteren Auflagen, seit der zweiten Auflage als „Trostspiegel in Glück und Unglück“. Viele weitere interessante Details beschreibt Walther Scheidig in seinem Buch „Die Holzschnitte des Petrarca-Meisters“. Berlin 1955, das auch Online bei der Uni Heidelberg verfügbar ist.
Dem Werk von Scheidig habe ich folgende Deutung des Bildes zur „Kleydunge“ entnommen:
„In einem lediglich darstellenden Bilde wird die Aussage der „Freude“: „Ich bekleide mich aber zierlich“ illustriert. Eine Kritik ist mir der Zeichnung kaum ausgesprochen, vielmehr wird der Kritiker in das Bild selbst hineingestellt. Links ist mit langem Bart und turbanähnlicher Kopfbedeckung „der Weise“ gezeichnet, der eine Gruppe von Orientalen anzusprechen scheint. Doch sollten seine Worte wohl eher an die Patrizier gerichtet sein, die rechts in der reichen Tracht stehen, wie sie aus den Gemälden Lucas Cranachs und aus Urs Grafs Zeichnungen bekannt sind. „Du aber … belästigst die allerweitesten Völker der Spinnen, dir kämmen und wirken die Belgier, Perser, Geres, Indianer, dir schwimmt die tierisch Murer, dir hängen an die wohlriechenden perlen an rauhen Zweiglein, dir tragen die Britannischen Schafe weiße wolle, dir ist das indianische Kraut Murex nötig, zu deinem Dienst wallen die beiden Ozeanischen Meere.“ Spricht nicht auch ein gewißer Stolz aus dieser Aufzählung, mit der Petrarca die weltweiten Beziehungen der italienischen Handelsstädte darlegt?“
Scheidig, Walther [Hrsg.]: Die Holzschnitte des Petrarca-Meisters. Berlin 1955, S. 65
Interessanter Weise unterscheidet sich der von Scheidig zitierte Text etwas von der mir vorliegenden Textfassung (s.u.), das Bild selbst ist aber identisch. Im Vergleich verschiedener Texte zeigen sich auch Abweichungen, die ggf. nur Satzfehler sind; so könnten sich auch manche inhaltlichen Absonderheiten erklären. Die Ausgabe von 1532 war übrigens nicht die erste (deutsche) Ausgabe. Den Text hat Petrarca wohl zwischen 1354 und 1367 verfasst. Erstmalig gedruckt wurde das Werk 1474 in Straßburg, und auf Deutsch erschienen dann Teilausgaben 1478 und 1516.
Da der Text selbst als Fließtext nirgendwo zu finden ist, habe ich ihn hier eingefügt; die Schreibweise einzelner Wörter ist ungewohnt, indes wird der Sinn doch klar. Petrarca wendet sich hier gegen die, ja, „Putzsucht“ der Menschen. Dabei sind allerdings im Gegensatz zu den Ausführungen späterer Jahrhunderte auch die Männer mit gemeint …
Vile quid exornas nitido tam corpus amictu, quod cras forte auidis vermibus ess erit?
Was darffs der Kleyder so viel weise / Dein Leib der wirdt der Würmen Speise.
Bewahr dein Leib vor Hitz und Kält / Wann uberfluß Gott nicht gefällt.Frewd.
Ich frew mich / daß ich auffs köslichst / zierlichst und prächtlichest bekleydt / da herein tritt / wie ein Pfaw.
Vernunft
Wilt du wissen / was du thust / Du bedeckst nur damit deinen Unflat / den du an dir hast / dann hettest du / einen schönen Leib / wirst in auß frewd / stolz und hoffart den Leuten bloß und nackend wol zeigen / Ist es nicht schand / Rauden / Eyß und Dreck mit Purpur / Seiden und Scharlach decken?
Sauber soll man seyn / fürnemlich die Weiber / aber keinen uberfluß gebrauchen. Arbeyt stehet den Männern wol an / wie der weise Mann im Salustio sagt / den Weibern zimlicher Schmuck. Bedenckest du nicht in deinem weichen Kleyd / wie der arm / fromb und heilige Lazarus nacket und bloß vor dir umbgehet / wie ihn freuert? Warumb verachtest du in / wiltu nicht bewegt werden auß liebe / gegen dem nacketen / deine Nechsten / so bedencke doch dich / Lerne wie sich Heyden / nit als du so köstlich / sonder schlecht gezieret und bekleydet haben: Augustus der Keyser / der einig Herr dazumal uber die Welt war / hat sich keines andern kleyds beflissen / dan das im daheym von seinem Weib / schwester / tochter / un encklin gewirckt / gemacht / un zugericht
„Von köstlicher Bekleydunge“, im „Trostspiegel in Glück und Unglück“ von Petrarca, Ausgabe 1582., S. 17
war / bemuhet sonst niemand mit seinen Kleydern. Du aber der du andern dienen must / bemühest nit allein die in deiner Statt / sonder schickst in frembde Land / dir Kleyder zur hoffart zumachen.
Belge / Perse / Seres / und die Indianer / müssen dir spinnen / nähen und wircken. Dir schwimmet im Tyrischen Meer Murer der Visch / auß welchem der Purpur / Scharlach gefärbet / an deinen halß kompt. Dir wachset Wolle auff den Bäumen. Dir tragen Brittannische Schaaf Wolle die viele. Dir müssen beyde Meer nicht feyren. Augustus herwiderumb / wie gehört / hat nur seinem Weib / Tochter / Schwester und Enckel / zuschaffen gemacht / und dar mit content und benügig geweßt / so hoch ist hoffart gewachsen / und die Tugendt verdorret. Es soll gar nichts / daß man sich also zerreisset / es vermeinen etliche / mit dem ubermachten Schmuck / die hüpsche zufördern / sie mindern sie nur / ist auch grosser Argwohn darbey / wann man sich so ohn noth zieret.
Es muß einer allweg gedencken / wer es sicht / es sey ein trug darhinder / es lige ein Nater under einem grünen Graß. Einer oder eine / verderbt die sach gar / sie er oder sie ein Unflat ist / und sich schmincket / schmücket / ziert / und zerzerzet / wirt allen leuthen zu spott und schande. Man kan die Natur nit ändern / ist dencken verlohren / was einem für ein ungestalt von Natur angeboren wirdt / das mag weder Farb / noch wolriechende Specerey anders machen / ja wo man der Natur mangel erstatten wil / mache man die Sach nur verdächtiger. Lege auff ein güldine Bahr einen stinckenden todten Leichnam / ziere in mit Sammat / Seiden / und Edelgestein / je mehr du in zierest / je heßlicher er wirdt / er ist gefallen / gestorben / und der Zerstörligkeit jetzt undervorffen / hilffe nichts an im mehr / Also wil auch wenig deß lebendigen leibs schmuck / dieweil er solchem Todt und heßlichkeit nahge ist / erschießlich seyn.
Es ist auch noch eins der Kleydung hgalben sehr heßlich / daß so viel newer braäuch / mancherley Kleydung auß fremden Landen / schändlich zu uns bracht / und under uns gewon werden. Es ist Gott un der Mensch solchen Kutten und Kappen / zerschnitten / zerhackten / und zerfetzleten Kleydern feind / und solche die sie anthun / zeigen an / daß sie under menschlicher Gestalt / ein viethsch Gemüth / und ein weibisch hertz haben / Erzeugen von aussen ein weichheit / un mit geberden / wilder Tier härtigkeit / und schändtliche Unzucht / machen sich leichter in ihrer leichtfertigkeit / dann ein Federlein / und alle die dermassen gebaren / diß anderen vor oder
„Von köstlicher Bekleydunge“, im „Trostspiegel in Glück und Unglück“ von Petrarca, Ausgabe 1582., S. 18
nachzuthun / werden von aller Welt / wie gesagt / mehr haß / neids / unnd feindschafft auff sich laden / dann anders / denn es jetzt schier mit disen Mummereyen und verkleydungen dahin kommen ist / daß man schier nicht weiß / wer Bischoff oder Bader / wer Fraw oder Metz / Knecht oder Juncker ist / unnd ist dannoch kein auffhören da / sinder wächst das unsinnig leben von tag zu tag immer mehr / zc.
„Von köstlicher Bekleydunge“, im „Trostspiegel in Glück und Unglück“ von Petrarca, Ausgabe 1584., S. 18
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