Allgemein Fundstücke

Hutmacherin und Hutkramerin aus Lindenberg 1857

Zwei naive Aquarelle aus dem Jahr 1857 zeigen eine Hutmacherin und eine Hutkramerin – und auf den ersten Blick würden wir den Unterschied bei den Berufen heute kaum erkennen. Wie gut, dass beide Bilder betitelt sind!

Aquarell einer Hutmacherin aus dem Jahr 1857, aus dem Allgäu
Aquarell einer Hutmacherin aus dem Jahr 1857, aus dem Allgäu

Das Aquarell ist beschrieben: „Aus dem Königreiche Bayern, 2te Serie: Eine Hutmacherin aus Lindenberg in dem Allgaeu 1857“. Vielleicht gab es eine Vorlage? Darauf deutet die Beschreibung hin. Ich habe das Original aber leider nicht auffinden können. Die Hutmacherin wird in Tracht dargestellt und trägt in der linken und in der rechten Hand je einen Strohhut, der mit einem Band geschmückt ist. Die hellen Strohhüte heben sich sehr schön von der dunklen Kleidung ab!

Die Hutmacherei ist ja eigentlich klar gegenüber der Putzmacherei abzugrenzen. Hier liegt der entscheidende Unterschied im Material. Hutmacher verarbeiteten primär Filz und fertigten Herrenhüte; die Produktion von Strohhüten war eine ganz eigene Industrie und wurde weder dem Hutmacher noch der Putzmacherin zugerechnet.

Aquarell einer Hutkramerin aus dem Jahr 1857, aus dem Allgäu
Aquarell einer Hutkramerin aus dem Jahr 1857, aus dem Allgäu

Das zweite Aquarell ist etwas anders bezeichnet: „Landleute aus dem Königreiche Bayern. Eine Hutkramerin aus der Lindenbergischen Gegend in dem Allgaeu 1857“. Darunter findet sich noch ein Hinweis: „In dem Lindenbergischen befinden sich viele Manufacturen nach welscher Art“. Welsche Art – das bedeutete hier: italienische Art, und wird wohl wieder auf die Fabrikation von Strohhüten verweisen.

Die Kramerin hat einen Strohhut auf dem Kopf, einen weiteren in der linken Hand sowie zu ihren Füßen einen (Trage?-)Korb, der mit einem grünen Tuch ausgeschlagen ist und aus dem zwei weitere Strohhüte herausschauen. Ihre Tracht ist sehr ähnlich zu der der Hutmacherin, allerdings wirkt sie durch ihre blaue Schürze und den hellen Hut lebendiger und aktiver.

Lindenberg beherbergt heute das Deutsche Hutmuseum Lindenberg, und in der Tat war das Städtchen ein wichtiger und bekannter Produktionsstandort für Strohhüte. Dafür wurden „nach italienischer Art“ zunächst Borten aus Stroh geflochten und dann zu Hüten zusammengenäht. Einen Einblick in die Produktionsschritte gibt ein Holzstich aus der „Gartenlaube“ aus dem jahr 1890:

Arbeitsschritte der Strohhut-Fabrikation in Lindenberg 1890
Arbeitsschritte der Strohhut-Fabrikation in Lindenberg 1890

Die Herstellung erfolgte gleichermaßen durch Frauen wie durch Männer, mit der Besonderheit gegenüber der klassischen Hutmacherei, dass der Hutrohling mit der Nähmaschine aus Strohborten zusammengenäht wurde. Das war ebenso wie das Garnieren eine typische Frauenarbeit. Die Industrie beschäftigte lt. Wikipedia Anfang des 19. Jahrhunderts 300 Familien, und die Stadt entwickelte einen gewissen Wohlstand. Später weitete sich die Hutproduktion dann in Richtung Filzhüte aus, auch wenn der Strohhut das „Aushängeschild“ der Hutindustrie blieb.

Pierer’s Universallexikon von 1860, also drei Jahre jünger als die Aquarelle, bemerkt zu Lindenberg nur kurz: „Pfarrdorf im Landgericht Weiler des baierischen Kreises Schwaben; Flechterei feiner Strohhüte; 750 Ew.“. Laut Brockhaus von 1903 hatte der Ort im Jahr 1900 bereits 3.062 Einwohner; „Fabrikation von Strohhüten und Käse, Strohfärbereien und Bleichereien.“ Allgäuer Käse – den kennt man auch heute noch. Bei den Strohhüten bin ich mir da nicht ganz so sicher …

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