In der Putzmacherei hatte sich Anfang des 20. Jh. bereits ein Ausbildungssystem etabliert, in dem auch Prüfungen vor der örtlichen Handelskammer abgelegt werden konnten. Einzelheiten zur Ausbildung finden sich ausführlich bei Anna Pabst (Pabst, Anna: Das moderne Putzfach in Wort und Bild, Heinrich Killinger, Leipzig/Nordhausen 1917, S. 195 ff.). Sie beschreibt im Detail den Lehrvertrag, die Beziehungen zwischen Lehrherrin und Lehrmädchen, die Prüfungsinhalte usw. Dabei bezieht sie sich auf die veränderte Gewerbeordnung vom 30. Mai 1908. „Dieses neue Gesetz hat den allmählich ganz unhaltbar gewordenen Zuständen im weiblichen Erwerbsleben Einhalt geboten und geregelte Verhältnisse in der bisher völlig regellosen Ausbildung der Frauen gebracht.“ (a.a.O., S. 195)

Offensichtlich gab es aber auch davor bereits „ungeregelte“ Verhältnisse. So liegt mir ein Prüfungszeugnis des Lehrmädchens Berta Zink vor, ausgestellt am 16. Januar 1907. Es zeichnet dabei der Vorsitzende des Prüfungsausschusses (für das Modisten-Handwerk) Friedr. Buder für die Handwerkskammer für Schwaben und Neuburg.

Bei diesem Zeugnis fallen einige Details auf:
- Berta Zink lernte nicht (wie im Vordruck vorgesehen) bei einer Frau (Fräulein), sondern im Geschäft des Herrn Wilh. Geiger, Putz- und Modewaren G. (wohl Gesellschaft) zu Memmingen. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Ausbildung selbst durch eine weibliche Modistin erfolgte, Inhaber war aber ein Mann.
- Ebenso auffällig ist, dass der Vorsitzende des Prüfungsausschusses wieder ein Mann ist. Lediglich die beiden Meisterbeisitzerinnen (hier auch im Vordruck in der weiblichen Form) sind Frauen, nämlich Helene Kuchle (?) und Regina Schelle.
Die aus heutiger Sicht überraschende Dominanz von Männern im weiblichen Beruf kommentiert Kurt Dröge in seinem Werk über die Putzmacherin (Dröge, Kurt: Die Putzmacherin. Rollenbilder einer historischen Medienfigur. BoD, o.Jahr). Er schreibt zur Ausbildung der Putzmacherinnen nach der Gesetzesänderung 1908: „Da Innungen aber nach wie vor einen männlichen Schöffen als Vorsitzenden benötigen und es keine männlichen Putzmachermeister gab, wurden die entsprechenden Verbände und Fachvereine in aller Regel unter männlicher Leitung vereinigt: Diese Schikane hat sich auch später noch diskriminierend auf das juristisch nunmehr „reguläre Handwerk“ der Putzmacherei ausgewirkt.“ (a.a.O., S. 49). - Mit der Dauer der Lehrzeit von zwei Jahren wird das – lt. Anna Pabst – Mindestsoll gerade erfüllt (Pabst, a.a.O., S. 211). Die kurze Lehrzeit scheint indes nicht geschadet zu haben, wie die Benotung insbesondere des praktischen Teils mit „Sehr gut“ belegt.
- Erstaunlich ist, wie nachlässig das Prüfungs-Zeugnis ausgestellt ist. Berta Zink (sie hat so unterschrieben) wird als „Bertha“ vermerkt, es fehlt das Geburtsjahr, Memingen und Memmingen wechseln durcheinander.
Neben diesem Prüfungszeugnis liegt noch ein weiteres Zeugnis vor. Es umfasst die Zeit vom 1. Juli 1906 bis zum 31. Juli 1913.

Auch dieses Zeugnis ist bemerkenswert:
- Der Arbeitgeber (Schnarz) war ebenso männlich wie der Namensgeber der Firma.
- Die Beschäftigung begann bereits gut ein halbes Jahr vor der Ausstellung des Prüfungszeugnisses.
- Berta Zink hat offensichtlich zunächst volle 5 Jahre als Modistin gearbeitet, bis sie dann den Aufstieg zur „selbständigen Garnierin“ (vermutlich mit entsprechender Gehaltserhöhung) schaffte.
Insgesamt haben wir damit einen Beleg über 9 Jahre Berufstätigkeit. Den kompletten Text des Zeugnisses füge ich unten noch einmal an:
Friedrich Dorn
Inhaber: J. B. Schnarz
Telephon Nr. 324Memmingen, 31. Juli 1913
Zeugnis
Fräulein Berta Zink war vom 1. Juli 1906 bis heute als Modistin tätig & hat sich während dieser Zeit durch Treue, Fleiß und tadellose Führung meine vollste Zufriedenheit erworben. In den letzten 2 Jahren war dieselbe als selbständige Garniererin beschäftigt & hat viel Geschmack und Geschick gezeigt & kann ich sie jederzeit bestens empfehlen.
Der Austritt erfolgte auf eigenen Wunsch.Schnarz
Zeugnis für Berta Zink (1913), ausgestellt von J.B. Schnarz, Firma Friedrich Dorn, Memmingen
() Fa. Friedrich Dorn
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