In der Reihe der „Text-Books of Technology“ fand ich ein bemerkenswertes Buch von Clare Hill: „Millinery Theoretical and Practical“. Es ist bereits 1900 in erster Auflage in London bei Methuen & Co erschienen, mir liegt die zweite Auflage von 1905 vor. Das Buch füllte offensichtlich eine Marktlücke; 1912 erschien bereits die sechste Auflage. Spätere Auflagen konnte ich nicht finden.
Das Werk ist eines der frühesten, das über die Putzmacherei – so dürfen wir „Millinery“ übersetzen – im englischsprachigen Raum erschienen ist. So scheint auch das Selbstverständnis des Buches bzw. seiner Autorin zu sein; wir finden im Inhaltsverzeichnis besondere Markierungen für Inhalte, die sonst noch nirgendwo erschienen sind:
„Portions marked thus * are essential items not included in any other work on Millinery, and ‚Covering Shapes with Material‘ and ‚Drawn Work‘ are more fully treated.“
Hill, Clare: Millinery 1905, Contents
Über die Autorin gibt es leider keine weiteren Informationen. Sie wird vorgestellt als „Instructress to the West Riding County Council and City of Leeds Education Committee“, also als Lehrerin und nicht als „erfahrene Putzmacherin“ oder ähnliches. Dem entspricht die Erläuterung im Vorwort:
„After many talks with teachers and students, and discussing the points of shortcomings, the author has endeavoured to compile a treatise which should be as concise and simple as possible, yet fully meet the demand, and thus making no apology for offering the result of much wide and practical experience to the public ….“
Hill, Clare: Millinery, Preface (V)
Anscheinend hat Hill Informationen von Lehrern und Schülern (nur) zusammengetragen, ohne selbst allzuviel praktische Erfahrung zu haben. Immerhin gibt sie – namentlich gezeichnet – im Supplement Hinweise für Lehrende. Sie nimmt hier Stellung zu ständigen modischen Wechsel – und argumentiert, dass es sich dabei oft um die Wiederkehr immergleicher Elemente in neuer Zusammensetzung handelt. Im Vertrauen auf die eigene Erfahrung sowie die erworbenen Kenntnisse könne man sehr wohl den Anforderungen der Mode begegnen. Insofern gehe es darum, der Schülerin Vertrauen in die eigentliche Kompetenz zu vermitteln. Aus meiner Sicht ein guter Rat, der für eine große Erfahrung der Autorin spricht!
Ein Ziel des Buches war die Vorbereitung auf das Zertifikat des „City and Guilds of London Institute„. Dieses Institut wurde 1878 gegründet und sollte die technische (Weiter-)Bildung befördern. Interessant, dass auch die Putzmacherei als technisches Handwerk betrachtet wurde! In der Einleitung wird dieser Gesichtspunkt noch einmal betont – es sei eben wichtig, nicht nur die künstlerische Perspektive, sondern gerade auch die technischen Grundlagen zu beherrschen, um als Putzmacherin Erfolg zu haben.
Der Band besticht durch die Ausführlichkeit, mit der einzelne Arbeitsschritte beschrieben werden, inklusive Glossar, mit ausführlichem Index, einer Übersicht über spezielle Stiche und Materialien, einem differenzierten Inhaltsverzeichnis und vielen Illustrationen.
Allerdings fehlen Hinweise auf eine Selbständigkeit als Putzmacherin, auf Organisation usw. Dies war vermutlich einfach auch nicht beabsichtigt, der Schwerpunkt des Buches lag eben auf den technischen Fertigkeiten.
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