Fundstücke Putzmacherei und Putzmacherin

Moden und Putzmacherinnen in Wien 1787

„Die Moden sind einer der ersten, wesentlichsten, und kostbarsten Bestandtheile unseres Luxus“, schreibt Johann Andras Pezzl (1756-1823) im vierten Heft seiner Skizze von Wien 1787.

Titelblatt der Skizze von Wien von Johann Pezzl, viertes Heft 1787
Titelblatt der Skizze von Wien von Johann Pezzl, viertes Heft 1787

Mit diesen „Skizzen“ deckt der Aufklärer und kritische Geist Pezzl sehr unterschiedliche Themen ab – wohl in Nachahmung des „Tableau de Paris“ von Louis Sébastien Mercier. Im vierten Heft finden sich noch vor dem hier besonders interessierenden Kapitel zu „Moden“ noch solche zu Themen wie „Die Donau“, „Litteratur“, „Schriftsteller“, „Broschüristen“, „Geistlichkeit“, „Jansenisten“, „Kammerjungfern“, „Stubenmädchen“, „Redute“, „Lustmädchen“, „Lustseuche“, „Chirurgische Akademie“, „Die Nunziatur“, „Schneider“, „Kaffeehäuser“, „Zeitungen“, „Geschriebene Zeitungen“, „Mädchen-Pensionat“, „Der Prater“, „Egoismus“, „Brittensucht“, „Prediger-Kritik“, und endlich „Moden“; danach geht es genauso weiter. Ein Kessel Buntes, Allerlei von zwei bis drei, und – auf jeden Fall unterhaltsam und gut geschrieben. Apropos geschrieben – die Rechtschreibung habe ich bei meinen Zitaten unverändert übernommen.

In seiner Mode-Skizze läßt Pezzl zunächst ausführlich das „Journal des Luxus und der Moden“ zu Wort kommen, wonach – in meinen Worten – Wien sehr unaufgeregt und gemächlich der Pariser Mode folgt. Pezzl stimmt dem „Journal“ zu und führt einige Wiener Besonderheiten aus. Und da wird es interessant, nicht weil er Puzmacherin immer ohne „t“ schreibt, sondern weil er bestätigt, dass Wiener Putzmacherinnen nach Paris fahren, um sich aus erster Hand über die (dann) aktuelle Mode zu informieren:

„Darum reisen die berühmtesten zwei Modehändlerinnen von hier, Madame J. und Madame M. alle Jahre wenigstens einmal in Person nach Paris, um dort mit eignen Augen zu sehen, was in ihrem Fache Neues erschienen ist, und mit diesem Neuen sogleich unsere niedlichen Damen herauszupuzen.“

Pezzl, Johann Andras: Skizze von Wien, Viertes Heft, Wien und Leipzig 1787, S. 590

Solche Reisen waren natürlich außerordentlich aufwändig – und waren andererseits eine der wenigen Möglichkeiten, sich ein Bild von der aktuellen Pariser Mode zu machen. Ansonsten war man bzw. frau auf Erzählungen, mündliche Berichte von Modehändler*innen und die wenigen Kupferstiche angewiesen, die aus Frankreich überliefert wurden. Auch das „Journal“ enthielt ja Modestiche, die zum großen Teil von Pariser Zeitschriften „abgekupfert“ wurden. Aktualität spielte zwar eine Rolle, es ist aber zu bedenken, dass jeglicher Verkehr auf Postkutschen bzw. Pferdestärken angewiesen war. Es dauerte immer. Alles.

An einer zweiten Stelle wird es noch einmal besonders interessant. Pezzl äußert sich nämlich über die ihm bekannte Anzahl von Putzmacherinnen in Wien:

„Wie groß dieses Bedürfniß bei der hiesigen weiblichen Welt überhaupt sey; läßt sich ungefähr daraus berechnen, daß sechshundert fünf und sechszig öffentlich privilegirte Puzmacherinnen in Wien und dessen Vorstädten ihr niedliches Handwerk treiben.“

Pezzl, Johann Andras: Skizze von Wien, Viertes Heft, Wien und Leipzig 1787, S. 590

Die Einwohnerzahl von Wien in den heutigen Grenzen betrug 1783 ca. 247.000 Personen, wie ich einer relevanten Statistischen Dokumentation entnehmen konnte. Für eine so große Menge Menschen erscheint die Anzahl der Putzmacherinnen zunächst einmal gering – andererseits war „Putz“ eine Notwendigkeit hauptsächlich für den Adel und die allerhöchsten Schichten. Eine Einschätzung, ob es sich um aus zeitgenössischer Sicht „sehr viele“ oder „eher wenige“ Putzmacherinnen gehandelt hat, ist daher heute kaum mehr möglich.

Die von Pezzl erwähnten Putzmacherinnen waren „öffentlich privilegiert“, also registriert; damit verfügten sie zumindest über einen gesicherten Status. Das war wichtig, wenn man bedenkt, dass im 18. Jahrhundert das Zunftwesen mit seinen Besitzständen Handwerk und Handel weitestgehend bestimmten. Die öffentliche Registrierung stellte damit wohl für die Putzmacherinnen gleichermaßen Aufwand und Schutz dar.

Der komplette Text des Abschnittes zu „Moden“ folgt hier:

„Wien richtet sich in Sachen der Mode, im Ganzen genommen, noch immer nach Paris. Es gibt Damen und Modehändlerinnen hier, die sich periodisch Puppen und Zeichnungen aus Frankreich kommen lassen. Selten wachsen auf unsern einheimischen Boden neue Moden; und wenn es auch geschieht, so schwingen sie sich doch nicht zu dem Ansehn einer Parisischen empor.“

„Ulberhaupt aber muß man gestehn, daß hier die Moden nicht sogar unaufhörlich wechseln, nicht zu einer sogar entscheidenden Wichtigkeit erhoben werden, wie wir es von Paris hören. Es giebt nicht gar viele Damen, die ein Verdienst darinn zu finden glauben, die vielfältigen neuen Moden sobald möglich an sich zu pflanzen. Der grössere Theil ändert ziemlich langsam. Ich glaube, in Paris wechseln die Moden wenigst viermal, bis sie hier einmal allgemein wechseln; viele derselben kommen gar nicht über unsern Horizont. Es muß etwas sehr bequemes und hübsches seyn, wenn es bei der ganzen galanten Wienerwelt Eingang finden soll: dann erhält es sich aber auch, im Durchschnitt, wenigst um drei viertel Jahre länger, als ln Frankreich. Ob deutsches Phlegma, Häußlichkeit, Blödigkeit der Puzmacherinen, Abwesenheit einer regierenden Monarchin zc. Ursache dieser Stagnazion sey, kann ich nicht entscheiden.“

So spricht das Journal des Luxus und der Moden – das dogmatische Buch für die Gläubigen der Göttin Mode – über diese Rubrike.

Das Journal der Moden hat Recht. Man trägt sich in Wien mit Geschmak; man ändert von Zeit zu Zeit etwas in Farbe, Schnitt, und andern Nebensachen aber man macht nicht gar alle modischen
Albernheiten und Nichtswürdigkeiten mit, die unsere queksilbernen Nachbarn jenseit des Rheins in ihrem Tändelei-Taumel ausheken. Man macht aus einem neuen Lokenbau, aus einer Schnallen-Garnitur nicht jene unendliche Wichtigkeit wie dort drüben; indessen will ich doch jedem ehrlichen Mann, der in den Zirkeln der bessern Gesellschaften gern gesehen mag werden, wohlmeynend gerathen haben, sich nicht sehr altväterisch zu tragen, und überhaupt durch eine niedliche Kleidung seine Aussenseite eben so hübsch und geschmakvoll herauszupuzen , als sein Inneres durch Wissenschaft, Litteratur, Philosophie , Witz und Laune geschmükt seyn mag.

Die Männer tragen sich heut zu Tage größtentheils nach englischen Mustern. Auch scheint es, daß sie stets mit Niedlichkeit, und Bequemlichkeit verbundene Solidität des englischen Anzuges sich besser mit unserm deutschen Nationalkarakter vertrage als das gar zu tändelhafte Fliltterwerk der Franzosen … Die Weiber aber haben noch immer mehr Anhänglichkeit für ihre schon verjährte Gesezgeberin am Puztisch, für die Hauptstadt Frankreichs und der Moden, für das in diesen Kleinigkeiten unerschöpfliche Paris. Darum reisen die berühmtesten zwei Modehändlerinnen von hier, Madame J. und Madame M. alle Jahre wenigstens einmal in Person nach Paris, um dort mit eignen Augen zu sehen, was in ihrem Fache Neues erschienen ist, und mit diesem Neuen sogleich unsere niedlichen Damen herauszupuzen. Wie groß dieses Bedürfniß bei der hiesigen weiblichen Welt überhaupt sey; läßt sich ungefähr daraus berechnen, daß sechshundert fünf und sechszig öffentlich privilegirte Puzmacherinnen in Wien und dessen Vorstädten ihr niedliches Handwerk treiben.

Die Moden sind einer der ersten, wesentlichsten, und kostbarsten Bestandtheile unseres Luxus. Die ernsthaften, häuslichen Väter, und Ehemänner haben ihren leidigen Jammer damit. Da kommen der
Zeuche, der Hüte, der Bänder, der Spizen, der Schnallen, der Ohrgehänge, der Hauben, der Fächer, der Dosen, der Halstücher, der Federn zc. zc. bald so viele, als Tage im Jahre sind; und will man den lieben Hausfrieden in seinen vier Pfählen erhalten, so muß man schon wenigstens von Zeit zu Zeit mit so einem Artikel die gute Laune der theuren Hälfte oder der heranwachsenden Töchter erkaufen.

Ich hätte meine wahre Freude daran, Euch, geehrte Leser, einen männlichen und weiblichen Stuzer nach dem Leben zu zeichnen, wie sie eben jezt auf dem Graben herumflattern; weil aber mein Gemälde vielleicht in wenigen Wochen schon wieder veraltet seyn möchte, so verweise ich Euch auf das Weimarische Modenjournal, welches von Monat zu Monat die Symptomen des Moden-Fiebers mit Einsicht, Wahrheit und Anschauungskraft darstellt.

Pezzl, Johann Andras: Skizze von Wien, Viertes Heft, Wien und Leipzig 1787, S. 587-592

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