Einen eigenen Beruf zu haben war Ende des 19. Jahrhunderts für viele Frauen und Mädchen eine wirtschaftliche Notwendigkeit. Nur – welchen Beruf sollte frau wählen? Einen frühen Ratgeber aus dem Jahr 1898 stelle ich im Folgenden vor: den „Katechismus der weiblichen Erwerbs- und Berufsarten“, geschrieben von Constanze von Franken und im Jahr 1898 erschienen. Einen weiteren Ratgeber (Käthe Schrey: „100 Berufe für Frauen und Mädchen des deutschen Mittelstandes“ aus dem Jahr 1915) inklusive ihrer Ausführungen zur Putzmacherei habe ich ja bereits ausführlich beschrieben (100 Berufe für Frauen).
Im Vorwort wird sogleich der Ton gesetzt:
„In immer größerer Anzahl müssen die Frauen in unseren Tagen am Existenzkampf teilnehmen, immer häufiger macht die Notwendigkeit sich für sie geltend, die stille Thätigkeit des Hauses mit der ermüdenden Arbeit des Broterwerbs im öffentlichen Leben zu vertauschen und aus dem gesicherten Kreis der Familie hinaus auf den lärmenden Markt des Lebens zu treten. … Der Kampf um das Dasein ist härter geworden … „
Von Franken, a.a.O., S. III
Von Franken nennt dann die unterschiedlichen Gründe für die Berufstätigkeit der Frauen. Es sei eine statistische Tatsache, dass die Hälfte der Mädchen, insbesondere der aus dem intelligenten aber mittellosen Mittelstand, unverheiratet blieben. Entsprechend benötigten sie einen Beruf, um sich ernähren zu können. Außerdem gebe es genug Familien, in denen der Mann allein nicht die Familie ernähren könne. Nun seien (endlich) auch den Frauen neue Bahnen ermöglicht: „Es gibt augenblicklich fast keinen Beruf mehr, der den Frauen gänzlich unzugänglich wäre.“ (ebd., S. IV)
Von Franken gliedert ihren „Katechismus“ nach Berufsgruppen, und im „Kapitel XIII. Gewerbe“ findet sich dann auch – neben der Blumenmacherin, der Federschmückerin oder der Spitzenwäscherin – die Putzmacherin oder Modistin.
„Was das Fach der Putzmacherin oder Modistin anbelangt, so bietet dies, so viele sich ihm auch zuwenden, doch immer noch eine zureichende Erwerbsquelle. Wirklich geschickte Modistinnen werden selten über schlechten Geschäftsgang zu klagen haben, wenn sie auch die Verringerung ihrer Einnahmen während der toten Saison mit in Rechnung ziehen müssen.“
Von Franken, S. 185
Geschäftsgang – das klingt für mich zunächst nur nach einer selbständigen Putzmacherin. Nach von Franken gibt es allerdings vier verschiedene Tätigkeitsfelder für eine Putzmacherin:
- Tätigkeit für Privatkunden ohne Laden
- Gehilfin in einem großen Modistengeschäft
- Arbeit in einer Fabrik
- Eigenes Geschäftslokal.
„Die Ausbildung zur Modistin muß praktisch wie theoretisch geschehen, es ist also gut, einige Zeit in einem Modistinnengeschäft zu arbeiten und dann noch einen guten Kursus, wie ihn die meisten Industrie- und Haushaltungsschulen bieten, durchzumachen. Ein solcher Kursus dauern 2-5 Monate und kostet ca. 5 Marl monatlich.“
Von Franken, S. 186
Ob „einige Zeit“ auch eine zwei-bis dreijährige Lehrzeit bedeuten kann? Hier bleibt die Autorin vage, wird bei den Schneiderinnen aber präziser: „Wie die Putzmacherei so soll auch die Schneiderei sowohl theoretisch als praktisch erlernt werden, es empfiehlt sich daher, erst eine praktische Lehrzeit von einigen Jahren in einem guten Geschäft durchzumachen …“ Von Franken empfiehlt der Putzmacherin auch Fachkurse und verweist auf dieselben Ausbildungsinstitute wie die für Schneiderinnen, von denen sie etliche (oft eine „Frauenarbeitsschule“) mit Ortsangabe nennt.
Hier einmal der ganze Abschnitt:
Interessant war für mich, dass es im Bereich „Handel“ auch noch einen eigenen sehr kurzen Eintrag gab mit dem Titel „Unternehmerinnen“ – denn das wären doch auch die Putzmacherinnen mit eigenem Geschäftslokal, siehe oben? Der Eintrag geht dann über in den zur „Handels- oder Kauffrau“.
Neben den Frauen, welche ihren Unterhalt als kaufmännische Angestellte erwerben, giebt es natürlich auch viele, die als eigene Unternehmerinnen auftreten. Das deutsche Handelsgesetz räumt der Frau im Handelsbetrieb dieselben Rechte wie dem Manne ein, nur der Börsenbesuch ist ihnen verboten, doch können sie sich durch einen Prokuristen vertreten lassen.
von Franken, S. 204
Jede Handels- oder Kauffrau bedarf nicht nur einer sorgfältigen Ausbildung, sondern muß sich auch genau mit den einschlägigen Handelsgesetzen vertraut machen.
Der „Katechismus der weiblichen Erwerbs- und Berufsarten“ erschien als Nr. 45 in der Reihe „Max Hesse’s illustrierte Katechismen“ – diese Katechismen erschienen in teils mehreren Auflagen zu vielen unterschiedlichen Themen. Friedrich August Max Hesse (1858-1907) gründete im Jahr 1880 in Leipzig den Max Hesse Verlag. Der Verlag war insbesondere für die Musikwissenschaft wichtig, ein Artikel zu Max Hesse ist zumindest teilweise auf der Seite „Die Musik in Geschichte und Gegenwart“ erreichbar. Eine Würdigung seines verlegerischen Schaffens aus dem Jahr 1907 findet sich zudem im Werk „Schmidt: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker„.
Constanze von Franken ist ein Pseudonym der Autorin Helene Stökl. Wikipedia befindet:
„Helene Stökl war Verfasserin von erzählenden Werken, vorwiegend für Kinder und Jugendliche. Zahlreiche ihrer Werke sind der „Backfischliteratur“ zuzurechnen. Daneben schrieb sie unter dem Pseudonym Constanze von Franken auch Ratgeber und Benimmbücher. Ihr größter Erfolg war das 1890 zuerst veröffentlichte Werk Katechismus des guten Tones und der feinen Sitte (später: Handbuch des guten Tones und der feinen Sitte), das bis 1933 in 66 Auflagen erschien und von dem mehr als 300.000 Exemplare verkauft wurden.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Helene_St%C3%B6kl, abgerufen am 12.02.2022
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