Textiles

Shoddy- oder Mungowolle: Ersatzstoffe des 19. Jahrhunderts

Shoddy- und Mungowolle wurde im 19. Jahrhundert viel genutzt, insbesondere, um Reste aus der Produktion hochwertiger Gewebe sowie Alttextilien weiter zu verwerten. Dabei spielte der Preis der Rohstoffe die entscheidende Rolle. Durch die Existenz eines so billigen „Ersatzstoffes“ wurde auch das Qualitätsversprechen bei „echten“ Rohstoffen noch wichtiger; Stoffe aus „guter Wolle“ hoben sich zwar im Preis, aber auch in der zugrunde liegenden Qualität und damit Haltbarkeit von Billigprodukten ab.

Der Begriff Shoddy- bzw. Mungowolle ist heute kaum mehr zu finden. Wikipedia ist hier beim Eintrag Reißwolle sehr kurz. Zur Erklärung und Differenzierung zitiere ich daher hier aus „Meyers Großes Konversations-Lexikon“ von 1909:

Shoddy und Mungo (Kunstwolle, (Kunstwolle, Lumpenwolle), ein aus wollenen Lumpen, Spinnerei- und Webereiabfällen gewonnenes Spinnmaterial, das als Garn zu wollenen Geweben verwendet wird. Obgleich durch dieses Rohmaterial die Herstellung sehr billiger Fabrikate möglich ist, so steht der Preis doch in keinem Verhältnis zu der sehr geringen Qualität, die sich daraus erklärt, daß die zur Verarbeitung gewonnenen Fasern sehr kurz und spröde sind. Man unterscheidet Shoddy, Alpakka oder Extrakt und Mungo, indem man Shoddy aus ungewalkten Geweben, Wirkwaren, Extrakt aus gemischten Geweben und Mungo aus tuchartigen Geweben gewinnt. Die Rohmaterialien werden nach der Gespinstfaser, der Gewebeart, der Appretur und nach der Farbe und Feinheit gesondert und von Nähten, Knöpfen, Haken, Schnüren etc. befreit und gewaschen. Darauf gelangen sie auf einen Reißwolf, der aus einer Trommel von ca. im Durchmesser besteht, die mit spitzen Zähnen versehen ist, mit 700–800 Umdrehungen in der Minute rotiert und die Lumpen in ihre einzelnen Fasern zerreißt.

Die erhaltenen Fasern haben eine Länge von 5–20 mm, sind aber meist nur 8–10 mm lang. Die kürzesten Fasern fallen wie Staub aus den Geweben heraus. Je nach der Länge der Fasern wird die Kunstwolle mit mehr oder weniger Naturwolle im Schlagwolf gemischt und dann wie Streichwolle gesponnen. Gut verwendbar ist Mungogarn, mit Baumwolle oder seinen Woll-, resp. Seidenfäden drilliert. Shoddywolle enthält oft so viele genügend lange Fasern, um ohne Zusatz von Naturwolle versponnen werden zu können. Zur Gewinnung von Extrakt werden aus Wolle mit Baumwolle oder Leinen erzeugte Stoffe karbonisiert, d. h. in einem schwachen Bade von Schwefelsäure, Salzsäure, Chloraluminium, Chlorzink u. dgl. behandelt, dann scharf getrocknet und noch warm in einem Klopfwolf gewolft, wobei die vollkommen zerreiblich gewordenen Pflanzenfasern als Staub abgeschieden werden. Die zurückgebliebene Wolle wird darauf mit schwacher alkalischer Lauge gewaschen, getrocknet und wie Shoddy verarbeitet. Vgl. Löbner, Die Karbonisation der Wolle, Gewebe, Lumpen etc. und die Kunstwollfabrikation (Grünberg 1889). Klemm),

Meyers Großes Konversations-Lexikon, Band 18. Leipzig 1909, S. 409.


Bei Marcus findet sich der Begriff gleich mehrfach (Marcus, Benno: Großes Textilhandbuch. Heinrich Killinger, o.J., Nordhausen). Im Sachregister bietet er unter „Shoddygarn“ gleich eine Erläuterung: „Kunstwollschußgarn für grobe Gewebe“. Er bietet eine differenzierte Erklärung:

„Kunstwolle oder Lumpenwolle wird durch Zerfasern von alten abgetragenen Lumpen (Alttuch) und neuen Gewebeabschnitten (Neutuch) nach Güte und Farbe sortiert gewonnen; auch Spinnerei-, Weberei-, Wirkerei- und Strumpfwarenabfälle finden hierbei Verwendung.
Nach der Art des Materials und der Stoffgattung, von der die Kunstwolle stammt, unterscheidet man: Mungo. Shoddy und Alpaka.

1. Mungo wird durch Reißen, Zerfasern reinwollener, gewalkter, tuchartiger, verfilzter Stoffe gewonnen, die sich schwer zerfasern lassen und infolgedessen kurze, 5 bis höchstens 20 mm lange, vielfach verletzte Spinnfasern ergeben, die mit etwas Naturwolle, oft auch Baumwolle, zu grobem Unter- oder Füllschutz verarbeitet werden.

2. Shoddy wird aus reinwollenen, ungewalkten Stoffen, Tüchern, Schals, Wirk- und Strumpfwaren erzielt, die sich leichter auflösen und zerfasern lassen und daher auch längere Spinnfasern von 30 mm und darüber ergeben, die für sich allein oder auch mit Naturwolle gemischt versponnen werden.

3. Alpaka oder Extraktwolle ist das Produkt, welches man durch Zerfasern gemischter Gewebe aus Wolle und Baumwolle erhält. Sehr oft wird die Baumwolle durch Karbonisation der Lumpen entfernt, um ein reinwollenes Produkt zu erhalten.
Im Handel werden die Kunstwollen auch sehr oft nach dem Rohstoff benannt, aus dem sie gewonnen wurden, wie Flanell, Kaschmir, Tibet, Lama, Strumpfshoddy, Trikot usw. „

Marcus, Benno: Großes Textilhandbuch. Heinrich Killinger, o.J., Nordhausen, S. 193-194


Eine weitere Differenzierung finde ich bei Glafey (Glafey, Hugo: Textil-Lexikon. Handwörterbuch der gesamten Textilkunde. Deutsche Verlags-Anstalt 1937, Stuttgart/Berlin, S. 537-538), der bei Mungowolle noch differenziert in „Neumungo aus den Abfällen der Schneiderwerkstätten“ und „Altmungo aus abgetragenen Tuchresten“.

Beim Eintrag „Alpaka“ wird dort auch unterschieden (ebd., S. 13-14) in „Alpaka als Faser, auch Extract genannt; s. Kunstwolle“, „Alpaka als Gewebe, auch Lüster, Orleans und Mohair genant, ist ein leinwandbindiger Stoff, dessen Kette Water oder Baumwollzwirn ist. (…)“, „Alpakalitze, zweiflechtige Litze aus 40/2 Weftgarn mit 19-40 Flechten auf 1 franz. Zoll“ und „Alpakawolle ist das bis 150 mm lange, kräftige, schlichte Haar des in den Hochebenen von Südamerika gezüchteten … Pako oder Alpako (Auchenia Paco). (…)“

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