In ein einem Aufsatz „“Jüdischkeit“ in der Textilindustrie“ erläuterte der ehemalige Landesrabbiner von Württemberg, Dr. Joel Berger, die Besonderheiten, die zu einer verstärkten Tätigkeit von Juden in der Textilbranche führten (Berger, Joel: „Jüdischkeit“ in der Textilindustrie. In: Blickle, Karl-Hermann / Högerle, Heinz, Hrsg.: Juden in der Textilindustrie. Barbara Staudacher Verlag, Horb 2013, S. 11-18). Einige Grundideen dieses Artikels – der Teil eines Forschungsauftrages der Landesstiftung Baden-Württemberg für das Haus der Geschichte Baden Württemberg ist – möchte ich hier widergeben:
- Nach biblischer Verordnung darf ein Jude keine Mischgewebe (Schatnes) tragen (3. Buch Mose 19:19 und 5. Buch Mose 22:11).
- Dies entspricht der Grundidee, dass der Mensch im Tuch nicht vermischen soll, was Gott getrennt hat (Tierisches/Pflanzliches). Schatnes bezieht sich ausdrüclich auf Mischgewebe mit Wollanteil.
- Dieses Trennungs-Gebot gilt nur für die Lebenden; ein Totenkleid darf aus Mischgewebe bestehen, ebenso die Schaufäden, die gesetzestreue Juden tragen.
- Juden waren sehr lange von gewerblichem Wirtschafts- und Handwerk ausgeschlossen und waren oft gezwungen, als Händler / Hausierer zu arbeiten. Dabei wurden auch oft gebrauchte Textilien eingekauft (Tätigkeit als Lumpensammler). Verbrauchte Textilien konnten zu Reißwolle u.Ä. verarbeitet werden.
- Mit der zunehmenden Emanzipation im wirtschaftlichen Bereich konnten auch Juden größere Unternehmen gründen und führen. Die Textilindustrie war hier ein naheliegender Wirtschaftszweig.
- Aufgrund der häufigen Vertreibungen und Wanderungen hatten lt. Berger Juden eine große Sensibilität für Veränderungen entwickelt. Diese Flexibilität war auch in der Mode von Vorteil, wo sich die Stoffe, der herrschende Geschmack ständig änderte.
Ein weiterer Gesichtspunkt ist m.E. sicher die starke Vernetzung der jüdischen Gemeinden über die Landesgrenzen hinweg. Der Zusammenhalt war in geschäftlicher Beziehung von Vorteil – und Informationen konnten so schneller und besser fließen.
Insgesamt ist der Aufsatz des Rabbiners sehr aufschlussreich, ich hoffe, ihn in den wichtigsten Grundzügen korrekt widergegeben zu haben. Für kritische Anmerkungen bin ich offen. Der Sammelband „Juden in der Textilindustrie“ entstand als Dokumentation der Tagung des Gedenkstättenverbundes Gäu-Neckar-Alb am 1. Oktober 2010 in Hechingen.
Einige Beiträge meiner Website mit Relevanz zum Judentum sind hier zu finden:
Übernahme eines jüdischen Geschäftes durch eine Putzmacherin
Arbeit einer Putzmacherin bei jüdischen Unternehmen in Hamburg
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2 thoughts on “Über die „Jüdischkeit“ in der Textilindustrie”