Putzmacherei und Putzmacherin

Die Finanzen der Putzmacherin Bertha Goldwag – und ihre Lieferanten

Beim Lesen der Briefe von Richard Wagner an seine Putzmacherin, kommentiert von Ludwig Kusche (Kusche, Ludwig: Wagner und die Putzmacherin oder Die Macht der Verleumdung. Heinrichshofen, Wilhelmshaven 1967) stellt sich unweigerlich die Frage nach der finanziellen Situation der Putzmacherin, Bertha Goldwag, später Bertha Maretschek. Am 19. März 1867 schreibt Wagner: „Hiermit empfangen Sie Zweitausend fünfhundert Gulden in Süddeutscher Währung, welche gegenwärtig etwas höher steht als die österreichische“ (ebd. S. 76). Das war seinerzeit eine sehr beträchtliche Summe. Wie konnte Bertha Goldwag einen solchen Betrag als „offene Forderung“ vorfinanzieren? An anderer Stelle heißt es: „Sie gaben mir die Höhe meiner Schuld an Sie für die hieher gelieferten Sachen auf gegen fl. 3000 belaufend an. Ich übersende Ihnen hiermit fl. 3000, und bitte Sie, Ihre Rechnung mit der Quittung über die empfangenen fl. 3000 mir einzusenden“ (ebd., S. 113-114).

Die Österreichische Nationalbank stellt einen historischen Währungsrechner zur Verfügung. Damit ergibt sich für den Betrag von 3.000 Gulden in 1867 eine Kaufkraft frü 2021 von 40.869 Euro!

Bertha Goldwag hat sich zu ihrem Verhältnis zu Wagner später selbst geäußert. Nach seinem plötzlichen Weggang aus Wien 1864 (dort war Bertha Goldwag ansässig) kam sie beispielsweise in finanzielle Schwierigkeiten:

„Mit dem heimlichen Abgang Wagners kam ich in arge Verlegenheit. Ich hatte zwar Kredit in allen guten Geschäften, aber meine Rechnungen für Wagner beliefen sich auf Tausende, und ich wußte nun nicht, wie ich zu Geld kommen werde. Frau Vreneli und Franz (Angestellte von Wagner, Anm. Stockem), die ja auch ohne Geld zurückgeblieben waren, trösteten mich und meinten, der Herr werde so bald wie möglich von sich hören lassen. Ich ging nun zu dem Advokaten Dr. von List im Schottenhof, an den mich die beiden Dienstleute gewiesen hatten, und dieser sagte mir auch wiederholt, ich möge keine Sorgen haben, ich werde in kürzester Zeit Geld bekommen. So geschah es auch.“

Kusche, Ludwig: Wagner und die Putzmacherin oder Die Macht der Verleumdung. Heinrichshofen, Wilhelmshaven 1967, S. 34


Bertha Goldwag wurde offensichtlich auch für Arbeiten engagiert, die außerhalb ihres eigentlichen Fachgebietes lagen. Sie richtete ihm in Wien seine Wohnung ein, und ebenso in München und später in der Schweiz, wohin sie jeweils extra reiste. Auch dabei waren größere Summen im Spiel: „Aus Wien hatte ich Waren im Werte von etwas zehntausend Gulden mitgebracht.“ (ebd., S. 35)

Wie konnte Bertha Goldwag solche Summen vorfinanzieren? Aus ihren Äußerungen geht hervor, dass sie kein großes Unternehmen hatte. Schließlich spricht sie immer wieder davon, dass sie persönlich etwas für Wagner produziert, selbst bei der Innendekoration seiner Wohnungen tätig ist usw.. Andererseits hat sie wohl auch bei den sie beliefernden Fachgeschäften Kredit bekommen, sodass nicht alle Forderungen Wagner gegenüber auch Forderungen für ihre eigene Leistung gewesen sein müssen. Gleichwohl: das bedeutet, dass sie sich ihrerseits wohl mit ihren Lieferanten zu verständigen hatte.

Ein solches Fachgeschäft erwähnt Wagner z.B. selbst in einem Brief (Kusche, a.a.O., S. 58-59): „Können Sie bei Szontag einen schönen schweren Atlas von der beiliegenden hellbraunen Farbe bekommen? … Hat Szontag noch genug Vorrath von dem neurothen, oder carmoisinfarbenen schweren Atlas, …?“ Später erwähnt Wagner im Zuge einer Bestellung noch einmal „bei Sonntag“ (a.a.O., S. 110). Die Firma Szontagh (hat Wagner das „h“ vergessen, den Namen später nicht mehr genau erinnert, oder sind die Briefe fehlerhaft übertragen?) war seinerzeit ein offensichtlich bedeutendes Geschäft. So findet sich im „Jahrbuch für Handel, Industrie und spekulatives Interesse. Hrsg. von Eduard Schwarzmann. Strauß, 1845“ folgender Eintrag:

Über die Modewaarenhandlung von Ernst Szontagh, Wien 1845, a.a.O., S. 177


Interessanter Weise gibt es einen Hinweis in einer Zeitung (Der Adler: Allgemeine Welt- und National-Chronik, 19. Februar 1840, Wien), dass Herr Szontagh sich auf eine Reise nach Paris begeben hat – vermutlich nicht zu Erholungszwecken, sondern aus geschäftlichem Interesse:

Abreise von Ernst Szontagh, Handelsmann, von Wien nach Paris, 1840


Selbst ein altes Bild gibt es von Herrn Szontagh:

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Eine weitere Firma nennt Wagner im Zusammenhang mit der Einrichtung seines Hauses in München: „Wollen Sie mir nun auf fernere Rechnung noch Einiges besorgen, so bitte ich Sie vor Allem zu sehen, ob Sie in Wien (durch St. Haas – oder auch durch die andere Meubelstoffhandlung, ebenfalls am Graben – gegenüber) einen solchen schönen Stoff mit kleinem Blumendessin erlangen können, wie wir es hier besprachen. Diess wäre mir das liebste.“ (a.a.O., S. 114). Es wird sich dabei um die Firma „Philipp Haas & Söhne“ handeln, eine große Fabrik für Möbelstoffe und Teppiche. In einem Adressbuch von 1865 (Adolph Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger: nebst Handels- u. Gewerbe-Adressbuch für d. k.k. Reichshaupt- u. Residenzstadt Wien u. Umgebung, 1865, S. XLVIII) findet sich folgende Anzeige:

Anzeige von Philipp Haas und Söhne, 1865
Anzeige der Firma „Philipp Haas & Söhne“, Wien 1865


Warum im Brief von „St. Haas“ geschrieben wird, bleibt hier allerdings unklar. Vielleicht – wie oben schon einmal gemutmaßt – ein Übertragungsfehler? Offensichtlich hat Wagner Bertha Goldwag als eine Art „Agentin“ genutzt, seine Vertrauensperson „vor Ort“, die für ihn, in seinem Auftrag Einkäufe in Wien tätigen sollte.

Noch ein weiteres Geschäft erwähnt Richard Wagner:
„Fragen Sie doch im Stock-im-Eisen-Platz (im Silber-Kranze) in der Bandhandlung nach, ob sie dort noch von dem ganz breiten schweren Rosa- und blauen Atlasband haben, welches ich früher dort sah; es war zu Schärpen und wohl eine 4tel Elle breit.“ (a.a.O.)

Es handelt sich hierbei um die Seidenhandlung von Gustav Wild, die 1845 gegründet worden war:

Eintrag der Firma Gustav Wild, Seidenhändlier, Wien 1861

(Aus: Adolph Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger: nebst Handels- u. Gewerbe-Adressbuch für d. k.k. Reichshaupt- u. Residenzstadt Wien u. Umgebung, 1861, S. 179)

Das Gründungsdatum ist hier zu ersehen:

Registereintrag der Firma Gustav Wild, gegründet 1845

(Aus: Pernold, Emanuel (Hrsg.): Firmenbuch, enthaltend nach alphabetischer Ordnung alle bei dem hohen k. k. Handelsgerichte in Wien protokollirten Handels-, Fabriks- und Gewerbs-Firmen mit Angabe ihrer Domicile. Wien 1855, S. 154)

Weitere Informationen über diese von Wagner offensichtlich geschätzte Firma konnte ich leider nicht finden. Bei Gerda Buxbaum gibt es noch den folgenden Eintrag: „Seidenwarenhandlung „Zum Silbernen Kranz“, Besitzerin: Wimmer, Nachweisbar: 1776-1857, 1., Graben, Stock-im-Eisen-Platz 1″; leider kann ich diese Informationen aber nicht nachprüfen. (Buxbaum, Gerda: Mode aus Wien 1815-1938. Residenz Verlag, Salzburg / Wien 1986, S. 377)

Interessant im Zusammenhang mit der Kreditwürdigkeit der Putzmacherinnen generell ist ein Blick nach Amerika. Pamela J. Nickless hat die Kreditwürdigkeit von Unternehmerinnen in North-Carolina im 19. JH untersucht (Nickless, Pamela J.: Scarlett’s Sisters: Spinsters, Widows, Wives and Free-Traders in Nineteenth-Century North Carolina. In: Harris, Beth, Hrsg.: Famine and Fashion. Needlewomen in the Nineteenth Century. Routledge, London / New York 2005, S. 157-169). Sie wertet dazu die Unterlagen früher „Rating-Agenturen“ aus, namentlich der „R.G. Dun Mercantile Agency“ und „Branson’s Business Directory for North Carolina“. Die Unterlagen von Dun (heute: Dun & Bradstreet) liegen für die Jahre 1840-1880 vor. Verzeichnet sind Informationen zur Kreditwürdigkeit der Unternehmen bzw. ihrer Inhaber*innen. Ein von Nickles zitiertes Beispiel für ein Lebensmittelgeschäft (GRO = Grocer) sei hier angeführt:

„MADAME COCHE ASHVILLE GRO
June 13, 49 Succeeds to the business of her husband lately deceased and is good …
June 50 Continues her bus and attends to it herself Sent her eldest son to France that’s good for $ 1000 …
June 10 51 Married Jesse C. Wingate a tailor understand she had a trustee appointed and her property secured before marriage She is good for contracts at home
Jan 52 By marriage contract the gro and its proceeds are secured to her and her children She is a little pressed at present but is good for her debts her cr is good worth $ 500-600
Jun 52 unfav believed to be gd
Dec 52 doing well …
Jan 54 Dead. Husband is carrying on business“

Nickles, ebd., S. 159


Auch das Beispiel einer Putzmacherin (bzw. Kleidermacherin, je nach Übersetzung des Wortes Milliner) findet sich hier:

„MRS. W.O.WOLFE ASHVILLE MILLINER

Sept 23 79 Just commenced business not a desirable customer
Dec 79 Sell for cash, newcomer, said to be worth very little“

Nickless, ebd., S. 159


Nickless beforscht insbesondere den sozialen Status der Unternehmerinnen und ihre familiäre Situation. Hier interessiert der finanzielle Aspekt. Offensichtlich gab es in North Carolina bereits ein ausführliches (kommerziell betriebenes) Register, dem die Kreditwürdigkeit eines Unternehmens entnommen werden konnte. Der Wahrheitsgehalt und die Erhebungsmethoden seien einmal dahingestellt.

Im deutschsprachigen Raum ist mir ein solches Verzeichnis nicht bekannt. Dennoch – wer wie Bertha Goldwag für Richard Wagner arbeitete, konnte vermutlich auch seine Bekanntheit nutzen, um Kredit zu bekommen. Es scheint für sie allerdings nicht immer einfach gewesen zu sein, ihre Schulden einzutreiben bzw. ggf. eigene zu bezahlen.

Es bleibt die Frage, wie Putzmacherinnen ihre Unternehmen finanziell solide aufstellen konnten. Die Beschaffung des Materials – oft aus Frankreich – verursachte hohe Beschaffungskosten; Kundinnen wollten zumindest aktuelle Muster sehen. Der andere Kostenblock – die Personalkosten – war da vermutlich einfacher zu beeinflussen.

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