Lebenslanges Lernen Putzmacherei und Putzmacherin

Die Kunst der Putzmacherei 1827

Im französischen „Manuel des Dames ou l’art de la Toilette„, erschienen 1827 in Paris, findet sich ein Kapitel mit dem Titel „L’art de la modiste, ou manière de faire les chapeaux, toques, bonnets, etc.“ Um es vorwegzunehmen – es handelt sich bei diesem Kapitel um die wohl genaueste und detaillierteste Beschreibung der Verfertigung von Hüten, Hauben usw. des 19. Jahrhunderts. Erstaunlich, ist es doch nur ein Kapitel von vielen dieses bemerkenswerten Werkes von Élisabeth Celnart. Es behandelt in drei Teilen eine unglaubliche Menge an Rezepten, Hinweisen, Anleitungen usw. für die gesamte weibliche Toilette.

Im ersten Teil geht es um Haarpflege, die Zähne, Hautpflege und Kosmetik, Parfums, Hygienehinweise und Rezepte für die Behandlung von Hühneraugen, eingewachsene Nägel und – Magerkeit („Régime contre la maigreur“). Sehr schön, dass letzterem Kapitel gleich dasjenige über zu große Beleibtheit folgt: „Régime contre l’excès d’embonpoint“. Die Rezepte werden hier nicht verraten; einige der Ratschläge gegen das Embonpoint sind aber durchaus nachvollziehbar, z.B. Bewegung, wenig Brot, nicht mehr als zwei Mahlzeiten am Tag, und „étudier beaucoup“. Wissenschaft bekommt hier doch gleich noch einen weiteren Mehrwert!

Im zweiten Teil lernen wir, wie man sich angemessen frisiert, kleidet, wie die Schuhe, wie die Accessoires zu wählen sind, welche Kleidung im Trauerfall zu tragen ist. Kurz, es geht um die Angemessenheit bei der Auswahl dessen, was äußerlich sichtbar ist, oder, wie die Autorin schreibt: „… j’envisage la toilette sous le double point de vue de convenance et d’élégance.“

Der dritte Teil enthält schließlich praktische Hinweise zu vielen unterschiedlichen Themen:

  • l’art de faire les corsets, de faire et raccommoder les bracelets et jarretières élastiques, de coudre les gants, de remettre à la mode les objets qu’elle n’admet plus
  • l’art de conserver et racommoder les fourrures
  • l’art de la Mercière – Passementière
  • l‘ art de la Modiste

Im Vorwort erörtert die Autorin noch die Frage, ob die Kunst der Putzmacherei (eigentlich: der Putzmacherin) aufgrund der ihr innewohnenden notwendigen modischen Veränderlichkeit überhaupt beschreibbar sei. Celnart argumentiert etwas überraschend so: Gerade diese stete Veränderung führe dazu, dass die Mode sich immer im Kreis bewege, und jede Mode irgendwann wiederkomme:

„En effet, après un intervalle plus ou moins long, les modes oubliées reviennent successivement sous les noms différens, quelquefois avec de légers accessoires, et le plus souvent tout simplement, comme elles étaient d’abord.“

Im Übrigen gehe es im Prinzip immer um dasselbe: zuschneiden, drapieren, montieren, garnieren mit Bändern, Federn, Blumen usw. Es bedürfe nur der folgenden Hinweise und etwas Geduld, um alle Hüte gekonnt (nach einem Vorbild) zu kopieren.

Das ist nun mal eine unaufgeregte und souveräne Haltung zur Mode! Für den Hausgebrauch war und ist es sicher sinnvoll, sich darauf zu besinnen, dass das, was gestern modern war, möglicherweise in ähnlicher Form übermorgen wiederkehrt.

Bevor wir uns jetzt der praktischen Putzmacherei zuwenden, sei noch einmal gewürdigt, was sonst alles abgehandelt wird: Die Herstellung von Korsetts, das Handschuhnähen, und insbesondere die Kunst, das, was nicht mehr modisch genug ist, wieder aufzuwerten („remettre à la mode les objets qu’elle n’admet plus“). Heute würden wir von Nachhaltigkeit sprechen. Celnart geht so weit, zu raten, den Kauf eines Kleides aufzuschieben, wenn gerade eine so extravagante Mode herrscht, dass man das Kleid danach nicht mehr umarbeiten könnte.

Teil der Bildbeilage zum "Manuel des Dames" von Élisabeth Celnart aus dem Jahr 1827
Teil der Bildbeilage zum „Manuel des Dames“ von Élisabeth Celnart aus dem Jahr 1827

Nun aber endlich zum Kapitel über die Putzmacherei, die „art de la Modiste“. Celnart spezifiziert: es handle sich dabei um die Konfektion von Hüten, Hauben, Kappen, Mützen, Barrets und Turbanen. Den Strohhüten ist noch einmal ein eigenes Kapitel gewidmet. Celnart beschreibt zunächst die Herstellung der unterschiedlichen Hutformen und kommt dann zu insgesamt 52 (!) verschiedenen Möglichkeiten, Hüte zu schmücken und zu gestalten. Ich habe sie einmal in Gruppen zusammengefast:

  • Schleifen: 1. nœuds de chapeaux en rubans; 2. nœuds en étoffes; 3. nœuds froncés; 4. nœuds recoquillés; nœuds en cocarde; 6. biais; 7. ruches; 8. blondes en demi-voile; 9. nœuds garni; 10. nœuds ornés de fleurs; 11. nœuds ornés de plumes; 12. nœuds frangés; 13. nœuds à glands; 14. nœuds à agrafes métalliques; 15. nœuds de grosse ganse torse, avec glands aplatis
  • Federn: 16. marabouts; 17. esprits; 18. plumes en saule-pleureur; 19. bouquets de plumes; 20. plumes ornées d’or ou d’acier
  • Blumen: 21. fleurs mélangées; 22. fleur et fruits; 23. fleurs voilées; 24. fleurs et plumes; 25 fleurs et clinquant; 26. fleurs en chenille; 27. fleurs en velours pour l’hiver
  • Weitere Naturmaterialien: 28. herbes; 29. feuillages; 30. branches de bois; 31. torsades; 32 perles;
  • Weitere Formen: 33. ornemens d’acier, comme abeilles, croissans, etc.; 34. chaînes et colliers dorés; 35. crevés de tulle ou satin; 36. fleurs en paille; 37. ornements sous la passe du chapeau; 38. oiseau de paradis; 39. agrafes d’étoffe-gaze, ou ruban; 40. dentelures; 41. turbans; 42. boutons
  • Girlanden: 43. guirlandes circulaires; 44. guirlandes en casque; 45. guirlandes de nœuds; 46. guirlandes de coques
  • Kinnbänder: 47. mentonnières de rubans; 48. mentonnières d’étoffe à passe-poil; 49. mentonnières de gaze ou blonde; 50. mentonnières garnies à plis creux; 51. doubles et triples mentonnières; 52. fichus sur le chapeaux

Celnart erläutert die unterschiedlichen Varianten sehr detailliert. Auch hier glänzt sie mit großer Fachkenntnis, und es ist beeindruckend, wie genau und spezifisch sie die verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten beschreibt. Eine so fachkundige Abhandlung über die Herstellung und den Schmuck von Hüten ist mir weder auf Französisch noch auf Deutsch in der Fachliteratur für das gesamte 19. Jahrhundert begegnet. Umso erstaunlicher, dass sich dieses Kapitel wie auch das ganze „Manuel“ nicht etwa an Spezialistinnen, sondern an das allgemeine weibliche Publikum wendet. Es erschien in einer Reihe, die der Verleger Nicolas Roret im Jahr 1822 initiiert hatte, den sog. Manuels Roret, später auch Encyclopédie Roret. In einfacher Gestaltung und in kleiner Schrift, eng gesetzt erschienen Handbücher zu allen möglichen Themen – von Architektur und Ackerbau bis zu Essig- und Senfzubereitung (Vinaigrier für das „V“). Die Bücher wurden immer wieder aufgelegt und fanden eine sehr weite Verbreitung; insgesamt erschienen ca. 300 verschiedene Titel. Meine Ausgabe des Manuel des Dames von 1827 enthielt sowohl vorne wie auch hinten mehrere Werbeseiten mit den bislang erschienenen Titeln.

Die „Encyclopédie Roret“ wurde zumindest teilweise ins Deutsche übersetzt. So findet sich bei Voigt in Weimar eine Sammlung „Neuer Schauplatz der Künste und Handwerke“, in der als Band 16 „Der vollkommene Parfumeur“ erschien, angeblich ebenfalls von Élisabeth Celnart. Leider konnte ich nicht verifizieren, auf welche Ausgabe sich diese Übersetzung bezog. Der „Schauplatz der Künste und Handwerke“ entsprach im Umfang und in der Breite der Themen durchaus der „Bibliothèque Roret“ mit knapp 300 Bänden, die zwischen 1819 und 1870 erschienen.

Die Autorin des „Manuel des Dames“ war wie bereits erwähnt Élisabeth Celnart, geboren als Élisabeth-Félicie Canard, verheiratete Bayle-Mouillard; der Name Celnart ist ein Pseudonym. Sie war eine vielbeschäftigte Autorin und schrieb etliche Titel zu Themen wie Hauswirtschaft, Gutes Benehmen usw. Hier noch einige ihrer Titel, die sich speziell an Frauen richteten:

  • Manuel des Demoiselles ou Arts et métiers qui leur conviennent, et dont elles peuvent s’occuper avec agrément : tels que la couture, la broderie, le tricot, la dentelle, la tapisserie, les bourses, les ouvrages en filets, en chenille, en ganse, en perles, en cheveu
  • Manuel du parfumeur
  • Nouveau manuel complet de la broderie, indiquant la manière de dessiner et d’exécuter tout ce qui est relatif à cet art, contenant les broderies en coton, fil, laine, soie, or, argent, lamés de toute espèce, tapisserie, chenilles, plumes, ganses, rubans, etc.
  • Nouveau manuel complet du fleuriste artificiel et du feuillagiste, ou l’Art d’imiter d’après Nature toutes espèces de fleurs en papier, batiste, mousseline et autres étoffes de coton, en gaze, taffetas, satin, velours ; de faire des fleurs en or, argent, chenille, plumes, paille, baleine, cire, coquillage et en cheveu ; les fleurs de fantaisie, les fruits articiels, les feuillages.

Interessanterweise ist das Kapitel über die Putzmacherei in der zweiten Auflage des „Manuel des Dames“ nicht mehr zu finden; der Schwerpunkt hatte sich deutlich verschoben, wie der Titel verdeutlicht: „Manuel des dames, ou l’art de l’élégance, sous le rapport de la toilette, des honneurs de la maison, des plaisirs, des occupations agréables„. Celnart selbst distanziert sich im Vorwort von ihrem Ursprungswerk: „Il a produit de longs détails sur des soins trop minutieux, sur des traveaux arides et peu utiles; il a donné à cet ouvrage une allure bourgeoise, mesquin (…)“ Die zweite Auflage konzentriert sich daher auf die Eleganz, und die Inhalte des dritten Teils der ersten Auflage wurden nicht mehr aufgenommen. Vielleicht war auch das einer der Gründe, warum diese kundige und präzise „Kunst der Putzmacherei“ in Vergessenheit geriet. Schade!

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