August Friedrich Ferdinand von Kotzebue ist heute weitgehend vergessen. Der Dichter und Schriftsteller lebte von 1761 bis 1819 und schuf mehr als 240 Werke, die so schlecht nicht gewesen sein dürften; Goethe selbst inszenierte – so Wikipedia – 80 seiner Dramen. In Frankreich begegnen mir immer wieder alte Übersetzungen seiner Werke, die davon zeugen, dass er auch dort sein Publikum fand.

Kotzebue war ein vielgereister Mann mit einem bewegten Lebenslauf. Seine Ermordung durch den Burschenschaftler Karl Ludwig Sand im Jahr 1819 führte zu den Karlsbader Beschlüssen, die zur Einschränkung bürgerlicher Freiheiten und einer „dumpfen“ politischen Stimmung führten. Das änderte sich erst wieder im „Vormärz“, der mit der Märzrevolution 1848/49 seinen Höhepunkt fand … Aber hier geht es ja nicht primär um Geschichte, sondern – die Putzmacherin!

„Die hübsche, kleine Putzmacherin – ein Lustspiel in einem Aufzuge“, so ist Kotzebues Beitrag zum Thema überschrieben. Damit ist schon einmal geklärt, dass wir hier keine gesellschaftskritische Studie der aktuellen Verhältnisse (wir schreiben das Jahr 1805) finden werden. Es treten im Wesentlichen auf:
- Die Witwe Silber und ihr Sohn Wilhelm
- Pauline, Putzmacherin und Waise
- Stolperfuchs, ein reicher Hagestolz und Hauseigentümer
- Berghof, der Stiefbruder des Stolperfuchs
Pauline wohnt bescheiden Tür an Tür mit „Christiane“ (Frau Silber inkognito), der sie ihr Herz öffnet. Sie sei als Waise zur Familie Berghof gekommen, wo namentlich die Dame des Hauses sie sehr gefördert habe. Herr Berghof habe allerdings Konkurs gemacht, seine Frau sei an Gram gestorben, und die Kinder … das wird nicht weiter ausgeführt, ist aber völlig klar: unbemittelte Halbwaisen. Pauline schlägt Frau Silber vor, sich doch zusammen zu tun, um Mietkosten zu sparen und sich auch umeinander zu kümmern. Diese willigt ein. Allerdings würde sie auch en Auge auf Herrenbesuch haben. Daraufhin erzählt ihr Pauline – selbstverständlich angemessen verlegen – von ihrem Liebsten (Wilhelm Silber), der sich nach einem Unfall intensiv um sie gekümmert hat. Heriraten könnten sie aber nicht, da seine Mutter andere Pläne mit ihm hätte. Um sie zu erweichen, habe sie – Pauline – einen Brief an besagte Mutter geschrieben. Wir ahnen, ja, wir wissen es: Pauline hat sich soeben der Mutter ihres Liebsten, Frau Silber persönlich, offenbart! Frau Silber darf den Brief lesen und ist sehr gerührt. Nun könnte ja alles gut sein, aber – auf tritt Stolperfuchs, der Hauseigentümer und mehr oder weniger heimliche Verehrer von Pauline. Im Gespräch mit Frau Silber stellt sich heraus, dass sich Pauline immer wieder größere Summen von ihm leiht. Frau Silber ist erschrocken und fürchtet, dass Pauline sich dem Stolperfuchs verkauft habe. Wo bleibt da die Moral! Im folgenden Gespräch mit Pauline ist sie entsprechend zurückhaltend. Nun überstürzen sich die Ereignisse. Pauline erfährt, dass Herr Berghof am Ende ist, wenn er nicht 100 Thaler herbeischaffen kann. Der geliebte Wilhelm trifft ein, schneller als die Post (die damals ja noch einer Kutsche bedurfte), hat also weder ihren Brief noch den seiner Mutter gelesen. Als er gegangen ist, entscheidet sich Pauline, den Stolperfuchs um diese Summe zu bitten. Der will sie ihr auch geben (und hofft unzweideutig, so ihr Herz zu gewinnen). Er eilt, das Geld zu holen. Frau Silber, die den letzten Teil der Unterhaltung mitbekommen hat, fürchtet erneut um Sitte und Moral. Auftritt Herr Berghof, der von Pauline das Geld erhält. Die letzten Szenen bringen alles zum guten Schluss. Pauline erklärt, dass sie das Geld nur brauchte, weil sie sich persönlich Herrn Berghof und seinen Kindern verpflichtet fühlt. Frau Silber ist dadurch von allen moralischen Zweifeln befreit und kann wohlgemut ihre Zustimmung zur Heirat geben. Stolperfuchs erfährt, dass das Geld eigentlich für seinen Bruder gedacht ist, mit dem er sich überworfen hatte; beide versöhnen sich.
Soviel dazu. Turbulent und kurzweilig, wie ein Lustspiel so zu sein hatte. Den Originaltext kann man übrigens hier finden. Die Putzmacherin steht hier wieder einmal für ein Klischee: arm, Waise, rechtschaffen, ehrlich und fleißig. Dabei unter scharfen Beobachtung die Moral betreffend. Und am Schluss – wird alles gut.
Gottseidank.
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Literarische Bearbeitungen der Putzmacherei:
- D’Anspach, Maria: La Modiste. Paris 1841
- Bazin, René: Aus ganzer Seele. Der Roman einer Modistin. Köln o.J.
- Castanié, François: Royales Amours d’une petite Modiste (Madame du Barry). Paris 1913
- De Genlis, Madame de: La marchande de Modes, Comédie. in: Theatre à l’usage des jeunes personnes“ von Madame de Genlis, 4. Band. Paris 1781
- Duncker, Dora: Die Modistin. Novellen und Skizzen. Berlin 1894
- Eichler, Ludwig: Berlin und die Berliner. Die Putzmacherin. Berlin 1841
- Flügge, Heinrich: Der Graf und die Putzmacherin. In: Der Humorist. August 1847
- Hansen, Frieda: Die Lehrzeit der Putzmacherin Frieda Hansen 1929-1932
- Hopkins, William B.: Milliner to a Mouse. A Capital Chat 1903
- Humphreys, Eliza: Vanity – The Confessions of a Court Modiste 1901
- Kotzebue, August von: Die hübsche kleine Putzmacherin. Berlin 1805
- Langlade, Émile: La Marchande de Modes de Marie-Antoinette, Rose Bertin. Albin Michel, Paris o.J. (1911)
- Lauwick, Hervé: L’amour et la modiste. La Renaissance du Livre. Paris 1926
- Lyser, Johann Peter: Die arme häßliche Putzmacherin. In: Der Humorist. Oktober 1847
- Rowcroft, Charles: Fanny the little Milliner or The Rich and the Poor. Smith, Elder & Co., London 1846
- Schlägel, Max: Die Putzmacherinnen. Berlin 1871
- Taffetas, Hester: Recollections of Mrs. Hester Taffetas, Court Milliner and Modiste, during the Reign of King George the third and his Consort Queen Charlotte. Edited by her Granddaughter. 1859
- Thompson, Georg: Käthchen Castleton, die schöne Putzmacherin, oder Die Schicksale eines jungen Mädchens im niederen Lebensstande, die an einem Tage zugleich Frau und Wittwe wurde. C. Holbrook, New York 1853
- Weiße, Christian Felix: Die Putzmacherin, oder: Sieg der Tugend über Vorurtheile. In: Becker, Wilhelm Gottlieb: Erholungen. Berlin 1796
- Woods, Caroline: Otis, Belle: The Diary of a Milliner. Hurd and Houghten, New York 1867
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