Stereoskopien erfreuten sich im 19. Jahrhundert – und bis weit in das 20. hinein – einer großen Beliebtheit. „Zusammengenommen ergeben sie das archäologische Gedächtnis jener Epoche“, schreibt Pierre-Marc Richard (in: Neue Geschichte der Fotografie. Köln 1998, S. 182). Durch Zufall habe ich nun auch ein französisches „Stereo, tirage albuminé“ gefunden. Es datiert aus den 1870er Jahren und zeigt natürlich keine echte Innenaufnahme. Das Foto ist im Atelier inszeniert worden, was an sich schon einen ungewöhnlichen Aufwand bedeutete.
Man kann die falschen Wände, die Kulissen gut erkennen. Die Arbeitssituation wirkt ebenfalls sehr gestellt – keine Putzarbeiterin wird so gekleidet gearbeitet haben. Die einzig denkbare Funktion des Herrn im Hintergrund ist wohl die Repräsentation als Inhaber.
Ein (späteres) Bild scheint mir die Situation im Putzatelier realistisch(er) darzustellen. Zu bedenken ist gleichwohl, dass natürlich das Fotografiert-Werden an sich eine Veränderung der Situation und des Verhaltens mit sich brachte.
Auf diesem Bild, das ca. 1910 datieren dürfte, sitzen die Putzmacherinnen dicht an dicht, Ellbogen an Ellbogen, alle intensiv mit ihrer Arbeit beschäftigt; ganz links steht eine Frau, die offensichtlich die Arbeit überwacht. Immerhin scheint der Raum mit natürlichem Licht gut beleuchtet zu sein, auch wenn die einzelne Lampe im Hintergrund für die dunklere Jahreszeit nichts Gutes verspricht.
Vor dem Hintergrund der oft katastrophalen Arbeitsverhältnisse, wie sie aus den 1840-1860er Jahren geschildert wird, ist die Verbesserung evident. Wobei auch klar ist, dass einem Photographen auch nicht die Tür in einen „Sweat shop“ geöffnet worden sein dürfte.
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