Fundstücke Putzmacherei und Putzmacherin

Hüte im Damen Conversations Lexikon 1834

„Die Mode ist ein Saturn, der seine eigenen Kinder verzehrt“
(C. Herloßsohn: Damen Conversations Lexikon 1834, Bd. 5, S. 361)

Lexika und andere Nachschlagewerke sind eine wichtige und willkommene Quelle für ein Verständnis dessen, was die jeweiligen Zeitgenossen unter Hut, Putzmacherei usw. verstanden. Im 19. Jahrhundert erfreuten sich solche Lexika einer großen Beliebtheit; zu den wichtigsten gehörten die Brockhaus Enzyklopädie, Meyers Konversations-Lexikon, Pierer’s Universal-Lexikon und Herders Conversations-Lexikon. Diese in oft vielen Auflagen erscheinenden Werke haben überraschender Weise nur in wenigen Fällen einen Eintrag zur Putzmacherin; dasselbe gilt im Übrigen auch für den Hutmacher, wobei letzterer zum Teil ausführlich im Eintrag „Hut“ vorkommt. Bei den Putzmacherinnen ist es schwierigfer, hier Bezüge zu finden; der Begriff „Putz“ taucht indes immer wieder auf. Dazu an anderer Stelle einmal mehr.

Titelseite 5. Band Damen Conversations Lexikon Herlosssohn 1835
Titelseite 5. Band Damen Conversations Lexikon Herlosssohn 1835

Im Sinne der Marktorientierung gab es damals auch Spezial-Lexika, zum Beispiel für Frauen. Eines der umfangreichsten war das von Carl Herloßsohn herausgegebene „Damen Conversations Lexikon„, das 1834-38 in zehn Bänden erschien. Auch hier gab es zwar keinen Eintrag zur Putzmacherin oder zur Putzmacherei, aber einen ausführlichen Beitrag zum Thema Hut. Zielgruppengerecht werden Hüte gleich als „Kopfbedeckung der Damen“ definiert, Herrenhüte kommen erst später vor. Ich füge den Eintrag hier in Gänze ein:

Hüte, Kopfbedeckung der Damen, gewissermaßen den Hauben (s. d.) entgegengesetzt; sie gehören mehr der großen Toilette an, während diese in der Regel im Hause, im Theater und in Conzerten getragen werden. Form und Stoff wechseln nach der Jahreszeit und Mode; diese bedingen ihren Umfang bald von größerer, bald von kleinerer Dimension und Höhe; die kleinsten derselben, die Bibihüte, waren erst kürzlich an der Tagesordnung. Nach ihnen richtet sich auch ihre Ausschmückung mit Federn, künstlichen Blumen, Blonden, Schleifen, Krepp, Pelzwerk, Borden, Garnituren etc. –

Der Gebrauch der Hüte ist sehr alt; namentlich jene der Herrenhüte, doch tragt schon auf mehrern etruskischen Vasen die Victoria einen Hut, der wie die unsrigen gestaltet ist. Herrenhüte traten im Mittelalter, wenn die Männer nicht im Kriege waren, an die Stelle der Helme. Frauenhüte sind eine spätere Erfindung; sie kommen erst im 16. Jahrhundert vor, ausgenommen die Filzhüte, deren sich die Damen bei Jagd- und Reitanzügen bedienten und die den männlichen fast ganz glichen.

Vor Anfang des 18. Jahrhunderts, wo Damenhüte aus andern Stoffen schon gebräuchlich waren, erlitten sie vielfache Veränderungen. Im October 1784 trugen die Damen in Paris Hüte à la caisse d’escompte (Discontokassenhüte), welche keinen Boden hatten, wie man satirisch damals von dieser Kasse behauptete. –

Nach der kecken Laune, dem seinen oder barocken Geschmacke vornehmer Damen, berühmter Schönheiten, phantasiereicher Putzmacherinnen erhielten die Hüte von da abwechselnd Gestalt und Namen. Die Erfinderin eines neuen geschmackvollen, eleganten Hutschnittes konnte in der Modenwelt auf gleiche Celebrität, ja auf eine gewisse Unsterblichkeit rechnen (in so fern mit weiblichen Portraits auch ihre Costüme verewigt wurden), wie gefeierte Dichter und Componisten. Und so ist es noch bis auf den heutigen Tag geblieben. –

Was man im Frühling schön fand, findet man im Herbste häßlich, was während einer Badesaison geglänzt, erscheint in der nächsten lächerlich! Gegen Nichts sind die Damen so grausam und undankbar, wie gegen einen Hut. Kaum hat er eine kurze Zeit ihr Haupt geschmückt und verschönt, so wird er unter mancherlei Plunder geworfen und nicht einmal gedenkt ein anerkennender Blick seiner frühern Pracht, seiner Ruhmeszeit, seiner treu geleisteten Dienste. Er spielt immer die Rolle eines ephemeren Günstlings. Die Mode ist ein Saturn, der seine eigenen Kinder verzehrt; sie lebt nur in der Gegenwart, sucht ihr aber mit rasender Eile zu entfliehen und greift mit verlangenden Armen in die Zukunft. Tausend Mal schwört sie auf ihre Glaubensartikel und widerruft sie eben so oft; was heute als unfehlbar galt, ist morgen trügerisch, was heute als Götze auf dem Altare verehrt wurde, wird morgen vom Gestelle gestürzt! Sie ist nichts als eine große Lüge; ein ewiges Thermometer, dessen Säule Laune und Bizarrerie, Geschmack und Phantastik nach Willkür, Muthwillen und Uebermuth bald sinken, bald steigen lassen.

(C. Herloßsohn: Damen Conversations Lexikon 1834, Bd. 5, S. 360-361)

Gleich zu Beginn werden die Hüte den Hauben „entgegengesetzt“. Der Eintrag zu den Hauben ist noch wesentlich ausführlicher als der zu den Hüten, mit einer detaillierten Schilderung der unterschiedlichen Formen vom Altertum bis in die neuere Zeit. Dabei werden auch deutliche Worte nicht gescheut:

„Sie und die sogenannten Luckschen (vom Städtchen Lucca) Mützen, übertreffen an Häßlichkeit sogar die in der Oberlausitz zu suchenden Räderhauben, welchen es gelang, das ursprünglich nette Tellerhäubchen der Wendin, als Sonntagsstaat, zu verdrängen. Die Bewohnerin des Prettigaus in der Schweiz zeichnet sich nicht minder durch eine sonderbare Haube aus, die trotz ihrer terrassenweise, kammartig emporgerichteter Spitzenreihen einer gewissen Anmuth nicht entbehrt; aber eine höchst ideale Haubenform zeigt sich um Mailand. Sie umgibt aus farbigem Zeuge gefertigt, das Gesicht wie ein Heiligenschein und oben darüber sehen die wie ein Kranz geordneten Nestnadeln mit vergoldeten Knöpfchen hervor“.

(C. Herloßsohn: Damen Conversations Lexikon 1834, Bd. 5, S. 188)

Beim Stichwort „Kopfputz“, das unstrittig in diesen Kontext gehört, ist das Lexikon gewisser Weise genderneutral. Im weiteren Verlauf kommt die Putzmacherin zwar vor, aber gleichzeitig auch schlecht weg. „Machwerk“. Nun ja.

Kopfputz. Das Bestreben den Kopf, als den schönsten und edelsten Körpertheil, zu schmücken und zu schützen, ist fast allen Nationen gemein, und zahllos, wie die Sprachen derselben, sind die Formen, welche Männer wie Frauen ihrem Kopfputze geben.“ (…)

„Blicken wir auf jene, für die Tyrannei der Mode ewig denkwürdige Zeit, so sehen wir … die Herren und Damen von 1700–1789 und weiter mit so groteskem Kopfputz, daß die Häßlichkeit der Perücken nur mit der gleich großen der weiblichen Kopfzeuge verglichen werden kann. Die unerläßliche Basis derselben war eine gesteppte Mütze bonnet piqué), über welcher sich dann erst das Drahtgerüst (carcasse), das die Form bedingte und den Stoff stützte, erhob. Eine Unmasse von Kanten, Nesseltuch, Bändern, Flor, Blumen oder Federn bildete darüber die Haube, den pouf, die toque, je nachdem es sonst der Putzmacherin beliebte, ihr Machwerk zu nennen.

(C. Herloßsohn: Damen Conversations Lexikon 1836, Bd. 76, S. 192-193)

Porträt von Carl Herloßsohn
Porträt von Carl Herloßsohn

Zu Carl Herloßsohn, dem Herausgeber des Lexikon, findet sich bei Wikipedia eine kurze Biografie; er wurde nur 45 Jahre alt, veröffentlichte viel – und starb doch verarmt in Leipzig. Den oder die für den Eintrag „Hut“ verantwortliche*n Mitarbeiter*in können leider nicht identifiziert werden; dazu gibt es eine interessante Anmerkung von Angelika Schaser in der Rezension der Digitalveröffentlichung. Bekannt ist, dass zum Beispiel Karoline von Woltmann und Robert Schumann am Lexikon mitgearbeitet haben (sollen).

Eine kleine ironische Anmerkung zum Lexicon fand ich übrigens in der Beilage „Der Salon“ in der „Eilpost für Moden“ von 1839:

„Real-Encyclopädie für Frauen und Jungfrauen. Unter diesem Titel erscheint in Magdeburg ein Lexicon, welches Alles enthalten soll, was nur immer eine Frau zu wissen verlangen kann. Herloßsohns Damen-Conversationslexicon war also immmer noch nicht ausreichend. Warum gibt Jemand nicht lieber ein Damen-Conservationslexicon heraus? er würde sich nicht über Mangel an Absatz zu beklagen haben.“

Beilage „Der Salon“ in der „Eilpost für Moden“, 1839, S.84-85

Ein Gedicht Herloßsohns („Veronika“) erschien in der Nummer 10. der Eilpost vom selben Jahre. Er hat offensichtlich den Redakteur des Blattes, Ferdinand Stolle, gekannt, wie ein Brief von Stolle an einen unbekannten Empfänger nahelegt, der gerade antiquarisch angeboten wird. Darin heißt es:

„Bevor Sie Ihre Sammlung schließen, beeile ich mich noch ein Scherflein für das Andenken unsres Herloßsohn beizusteuern. Nicht die Größe der Gabe macht es, sondern daß man sich betheiligt. Wie schön ist es von Ihnen, daß Sie sich dem Andenken des verstorbenen Freundes annehmen. Ich drücke Ihnen dafür herzlichst die Hand.“

Brief vom 13. Juni 1850 von Ferdinand Stolle

Ferdinand Stolle selbst war eine interessante Persönlichkeit, der u.a. auch für die Gartelaube aktiv war.

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