Mit großem Vergnügen habe ich eine Textstelle zur Putzmacherei in einem Brief von Gottfried Keller an Hermann Hettner gefunden, den ich meiner Leserschaft nicht vorenthalten mag. Er schreibt am 16. September 1850 aus Berlin:
„Ich komme so eben von einem Abendgang im Thiergarten zurück und weiß in meiner gottvergessenen Einsamkeit nicht was ich anfangen will, da ich zum Schriftstellen nicht aufgelegt bin. Drei Referendare, welche neben mir wohnen und sich den ganzen Tag über gegenseitig Pandekten in den Kopf treiben, hämmern in diesem Augenblick auf einem Klavier herum und das Echo, das ihre indiskreten Finger in den nur zu willfährigen Tasten finden, erweckt auch in mir die Lust, mich mitzutheilen und da fällt es mir ein, daß ich ein wenig auf Ihrer Geduld Klavierspielen könnte, indem ich Ihnen einen Brief fabrizire, ohne erst eine konvenzionelle Antwort auf den jüngst abgesendeten erhalten zu haben. Da es mir rein selbstsüchtig um’s Plaudern zu thun ist, so brauchen Sie das Geschreibsel nicht auf einmal zu lesen. Ich genieße endlich das Vergnügen, die Druckbogen des grünen Henri zu korrigiren, welcher in 3 Bänden, jeder von ungefähr 16 Bogen, erscheinen wird. Vieweg wird Ihnen den ersten Band zuschicken, sobald er gedruckt ist, damit Sie nach dem unendlichen Geschwätz endlich die Spur einer That sehen. Das „Werk“ liegt wie ein Alp auf mir und ich werde zu keinem frischen und raschen Vorwärtsschreiten kommen, bis es endlich ganz aus dem Hause gefegt ist. Inzwischen treibe ich mich in den Theatern herum, was aber mit einer eigenthümlichen Strapaze verbunden ist, indem die guten Berliner Bürgersfrauen und Jungfrauen, zwischen welche ich einsamer Fremdling im Parquet gewöhnlich zu sitzen komme, so stark von allen erdenklichen kostbaren Parfüms duften, daß ich manchmal ganz betäubt werde. Doch erhole ich mich wieder durch die Augen und ich würde mir bald getrauen, einem ansehnlichen Putzmachergeschäft würdig vorzustehen vermittelst der genauen Studien, welche ich in den Zwischenakten an Häubchen und Halskrausen aller Art vornehme.“ (…)
Brief von Gottfried Keller an Herrmann Hettner vom 16.09.1850
https://www.gottfriedkeller.ch/briefe/frameset.php?https://www.gottfriedkeller.ch/briefe/hettner.php
Das Seufzen über die Parfümschwaden der weiblichen wie auch männlichen Theaterbesucher*innen kann ich aus eigener Erfahrung sehr gut nachvollziehen; und das Leiden unter den Kapricen der aktuellen Mode erinnere ich noch gut aus der Zeit im Kino, als Afro-Frisuren in Mode waren und mit schöner Regelmäßigkeit den Blick auf die Leinwand erschwerten. Immerhin macht Keller seine Beobachtung nur in den Zwischenakten und lässt sich ansonsten offensichtlich nicht stören …
Der „grüne Henri“ ist natürlich das Buch „Der grüne Heinrich“, dessen erste drei (von vier) Bände dann allerdings erst 1854 erscheinen. Gottfried Keller litt offensichtlich noch länger unter diesem Alp(traum).
Gottfried Keller selbst dürfte vielen auch heute noch bekannt sein – vermulich aber weniger der Adressat seines Briefes, Hermann Julius Theodor Hettner (1821-1882), laut Wikipedia „ein deutscher Literaturhistoriker, Kunsthistoriker und Museumsdirektor.“ Als weitere Quelle empfehle ich die den Eintrag in „Neue Deutschen Biographie„.
Den Brief selbst habe ich gefunden auf der Seite der Universität Zürich und der dort in einem Projekt erarbeiteten Historisch-Kritischen Gottfried Keller-Ausgabe (siehe auch Online-Quellenangabe unter dem Zitat).
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