„Wird also wohl der Kopf gehörig genug durch diesen Kopfputz wider die Kälte sowohl, als wider die Sonnenḥitze verwahrt werden können? Ich zweifle!“
Diese Einschätzung verdanken wir Christian Tobias Ephraim Reinhard (1719-1792) und seinem Werk „Satyrische Abhandlung von den Krankheiten der Frauenspersonen, welche sie sich durch ihren Putz und Anzug zuziehen“. Das Buch erschien 1756; Reinhard schreibt (als Arzt) über die schädliche Behandlung der Haare (Locken brennen, färben, pomadieren usw.), das Bleichen der Haut, Vertreiben der Sommersprossen, und vielerlei mehr. Auch der Kopfputz kommt in seinen kritischen Ausführungen vor, wobei nicht immer klar ist, was an seinen Ausführungen der „satyrische“ Anteil ist und wo er es ziemlich ernst gemeint hat. Mit seiner Einschätzung zum Kopfputz als Sonnenschutz wird er wohl recht gehabt haben – jedenfalls angesichts der Art des Kopfputzes, auf den er sich bezieht:
Ein Kopfzeug ist eine aus weißen Flor oder Schleyer mit Spitzen besetzte, und nach der Mode verfertigte Art der Kleidung, der sich die Frauenspersonen bedienen, um den Kopf damit zu bedecken. Wie aber diese Kopfdeckel gemacht werden, kann ich darum so genau nicht wissen, weil ich solche selbst niemals mit meinen Augen habe verfertigen sehen, und nicht das mindeste von der Nehkunst verstehe. Doch ich entsinne mich, einmal ein zerlegtes Kopfzeug gesehen zu haben, und wo ich nicht irre, so war es ein von weißen Kannevaß, einer Hand lang und breit gemachtes Herz, welches von innen etwas hohl, von außen aber etwas erhoben war. Dieses Herz aber pflegen die Schönen nach ihrer Redensart den Teller zu nennen. Doch so viel als ich von den Frauenputze verstehe; so glaube ich, daß dieses Herz vielleicht der Grund gewesen seyn mag, über und um welches der weiße Flor oder Schleyer, entweder mit weißen Zwirne angeneht, oder mit Stecknadeln angeheft werden muß. Betrüge ich mich nun in meiner Muthmaßung, so geschieht es gewiß aus Unwissenheit. An und um diesen mit Flor oder Schleyer überzogenen herzförmigen Teller pflegen die Schönen die Spitzen mit verschiedenen Falten anzunehen, und hernach mit oder ohne herabhängenden Flügeln zu versehen. Zuweilen schmücken sie auch, um mehrer Zierlichkeit willen, diese Kopfzeuge entweder mit goldnen, silbernen, und andern seidnen Bändern, oder mit Blumen, welche aus Gold, Silber oder Seide gesponnen worden sind.
Reinhard, Satyrische Abhandlung, Glogau und Leipzig 1756, Band 1, S. 58-59
Ein Kopfdeckel, selbst ein verzierter, ein „Teller“ – da versteht man die Skepsis, was den Schutz wider die Sonnenhitze anbelangt! Nach einem „satyrischen“ Ausfall über die Eigenschaften mancher der von ihm adressierten „Schönheiten“ fährt er fort:
Manchmal werden auch solche Teller von Pappier gemacht, die aber doch vorher mit goldnen, filbernen und andern farbigen Zindel überzogen werden, ehe der Flor oder der Schleyer über selbige geneht wird. Die Figur dieser Teller mag wohl eben so, wie die Kopfzeuge selbst, von verschiedentlicher Gestalt seyn. Mir sind Teller zu Gesichte gekommen, welche eine eyähnliche Figur hatten. Mit einem Worte: Die Kopfzeuge werden fast alle Monate, und vielleicht auch wohl gar alle Mondwechsel verändert: Aber eben dieses ist auch die Ursache, warum man solche nicht so eigentlich abzuschildern fähig ist. Nichts ist veränderlicher als die Moden der Frauenzimmertracht …“
Reinhard, Satyrische Abhandlung, Glogau und Leipzig 1756, Band 1, S. 59-60
Einem anderen Teil seiner Ausführungen, den ich unten zitiere, kann man entnehmen, dass es wohl auch größere Kopfbedeckungen gegeben haben muss. „Kopfzeuge …. einem großen Rade ziemlich gleich sind“ – das könnte doch als Sonnenschutzt geeignet sein! Und besonders interessant ist hier der Hinweis auf das „Putzmachermägdchen“, bzw. den Verweis auf die alternative Nutzung eines „Frauenzimmerlexicons“. Dabei bezieht er sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auf das damals berühmte Frauenzimmer-Lexikon, das 1715 erstmals im Verlag Verlag Johann Friedrich Gleditschs erschien und mehrere Auflagen hatte. Aber hier der Text:
Das schöne Geschlecht ist eben so veränderlich in den Arten der Hauben und Kopfzeuge, deren es sich zu bedienen pflegt, um ihrem Haupte eine Zierde geben zu mögen, als veränderlich solches selbst in feinem Gemüthe ist. Ja die Hauben und Kopfzeuge sind bey den Schönen eben so verschiedentlich, als verschiedentlich die Neigungen derselbigen sind. Denn bald stellt ein Kopfzeug die Fliegel eines Schmetterlings oder einer Fledermaus, bald aber auch die Figur eines andern Ungeziefers vor. Ich habe Frauenzimmer gesehen, welche Kopfzeuge trugen, die auf beyden Seiten ordentliche lange Lappen herunterhängen hatten, und man würde schwören, man erblickte ein Schiff, welches mit ausgespannten Segeln versehen wäre, wenn man eine solche Flatterschöne bey etwas windigen Wetter von weiten herkommen sieht. Manche Frauenspersonen bekleiden ihren Kopf mit einer ganz besondern Art der Kopfzeuge, welche einem großen Rade ziemlich gleich sind. Man würde sich einbilden, solche Leute waren bey lebendigem Leibe canonisirt worden, weil sie einen fast übernatürlichen Schein um ihren Kopf herum hätten. Doch es mag genug hiervon geschrieben seyn. Denn wenn ich alle Arten der Kopfzeuge mit Namen benennen, und ihre Figuren beschreiben wollte; so würde ich mich aus einer gewissen Nothwendigkeit entweder entschließen, zu den Putzmachermägdchen in die Schule zu gehen, oder wenn ich dieser Last überhoben seyn wollte, würde ich mir ein Frauenzimmerlexicon zulegen, und fleißig in solches sehen müssen. Doch da eben dieses nicht meine Beschäftigung ist, so habe ich es auch nicht nöthig, mich in diese unnöthige Weitläuftigkeit einzulassen: Aber gleichwohl werde ich derjenigen Kopfzeuge Erwehnung thun, und solche etwas genauer beschreiben, welche den Schönen Anlaß, krank zu werden geben.
Reinhard, Satyrische Abhandlung, Glogau und Leipzig 1756, Band 1, S. 57-58
Über den Autor ist kaum etwas zu finden. Ein Porträt des Dr. Reinhard scheint nicht überliefert zu sein. Er hat der Welt noch einige weitere (medizinische und sonstige) Werke hinterlassen, u.a. „Christian Tobias Ephraim Reinhards, der Arzneygelahrtheit Doctors und Heilarzts zu Camenz, Untersuchung der Frage: Ob unsere ersten Urältern, Adam und Eva, einen Nabel gehabt ?“ Das war in seiner Zeit eine durchaus relevante Frage, die dann auch gänzlich unsatirisch durchdekliniert wurde. Honi soit qui mal y pense.
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