Putzmacherei und Putzmacherin

La Modiste et le Capitaine – Lied einer Pariser Putzmacherin 1900

Auch in der Musik war die Putzmacherin eine gern genutzte Rollenfigur. Ein Beispiel dafür ist das Lied „La Modiste et le Capitaine“, das ich als Notenblatt kürzlich in einer Auktion entdeckt habe. Nach umfänglichen Recherchen konnte ich feststellen, dass das Blatt im Jahr 1900 in der Zeitschrift „Gil Blas Illustré“ erschienen ist.

Notenblatt und Illustration von "La Modiste et le Capitaine", erschienen 1900 in Gil Blas Illustré
Notenblatt und Illustration von „La Modiste et le Capitaine“, erschienen 1900 in Gil Blas Illustré

Eine einfache Übersetzung würde dem Lied wohl nicht gerecht, es müsste schon eine Nachdichtung sein, an der ich mich lieber nicht versuchen möchte. Dafür gibt es zu viele Idiome, sprachliche Besonderheiten, Verkürzungen … Nur soviel zum Inhalt:

Eine Pariser Putzmacherin soll einen Hut ausliefern, nutzt dazu eine Barkasse und möchte den (gutaussehenden) Kapitän fragen, wo sie denn aussteigen soll. Allerdings gibt es auf dem Schiff ein Schild: Nicht mit dem Kapitän sprechen! Das tut sie irgendwann dann doch und beschwert sich, dass man ihn nicht ansprechen dürfe; er antwortet, dass die Sprache der Augen das Herz auf jeden Fall erreiche („le langag‘ des yeux est un parler que l’cœr écoute“). Das kommt gut an, und zwei Monate drauf sind sie verheiratet. Sie ist stolz auf ihren schmucken Kapitän und wacht eifersüchtig darüber, dass ihn keine andere anspricht. Aber es gibt ja das Schild: Nicht mit dem Kapitän sprechen!

Hier die Noten:

Noten von "La Modiste et le Capitaine", erschienen 1900 in Gil Blas Illustré
Noten von „La Modiste et le Capitaine“, erschienen 1900 in Gil Blas Illustré

Und hier auch noch der Rest des Textes:

Zweite Strophe von "La Modiste et le Capitaine", erschienen 1900 in Gil Blas Illustré
Dritte Strophe von "La Modiste et le Capitaine", erschienen 1900 in Gil Blas Illustré
Vierte Strophe von "La Modiste et le Capitaine", erschienen 1900 in Gil Blas Illustré

Der Text stammt von „Ed. Piron“, über die/den ich leider so gar nichts in Erfahrung bringen konnte. Auch über den Komponisten, Eugène (Laurent) Sutter, findet sich überraschend wenig. Zwar listet die Bibliothèque nationale de France in ihrer Online-Ressource zu Sutter immerhin 94 Musikstücke auf, die er entweder komponiert oder arrangiert hat; zur Person gibt es aber keinerlei Informationen.

Wenigstens beim Schöpfer der stimmungsvollen Grafik werden wir fündig. Es handelt sich um Paul Balluriau, geboren am 25. September 1860, gestorben in Paris am 20. März 1917. Balluriau war ein sehr produktiver Zeichner, Illustrator und Karrikaturist, der – so steht es in der französischsprachigen Wikipedia – „dessine sur modèle vivant, s’inspire de la rue“. Insofern könnte auch seine Rückenansicht einer Putzmacherin nach der Natur gezeichnet sein. Für einige Jahre (1897-1900) war Balluriau auch künstlerischer Direktor der Zeitschrift „Gil Blas Illustré“, aus der das Notenblatt stammt.

Paul Balluriau (1860-1917), gezeichnet von Edmond Charles
Paul Balluriau (1860-1917), gezeichnet von Edmond Charles

Zur Zeitschrift „Gil Blas“ bzw. „Gil Blas Illustré“ gäbe es vielerlei zu sagen, einiges findet sich bei Wikipedia, insbesondere die Liste auch heute noch wichtiger oder zumindest bekannterer Autor*innen ist lang. Die Titelblätter sind oft farbig, schwungvoll, ganz im Stil des Art Nouveau. Bei der Suche nach der konkreten Ausgabe, aus der das Notenblatt kommt, habe ich vier komplette Jahrgänge (1897-1900) durchgesehen. Wer möchte, kann diese und noch weitere Jahrgänge online in der Bibliothèque nationale de France finden. In ihrer Häufung fand ich die Illustrationen aber kaum erträglich. In fast jeder Ausgabe war die sogenannte „galante Welt“ Thema. Frauen wurden in der Regel nur halb bekleidet abgebildet, in verführerischen Posen, Damen der „Halbwelt“, der „Bohème“; Männer kamen primär als stürmische Liebhaber, als lüsterne Alte usw. vor. Aus heutigem Empfinden eine kaum aushaltbare Ansammlung von Altmännerschlüpfrigkeiten. Die Abbildung des hier vorgestellten Notenblattes war da eine wohltuende Ausnahme, ebenso wie der Text, der ein bisschen frech, ein bisschen neckisch und charmant ist.

Die Ausgabe des „Gil Blas Illustré“, der das Notenblatt entstammt, habe ich hier als pdf verlinkt.

© Copyright Anno Stockem 2024

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