Nur wenige kennen heute noch den Begriff „Putzmacherei“, auch wenn die Putzmacherin besonders im 19. JH eine wichtige Rolle im Modegeschehen spielte. Der Beruf wurde später mit dem des Modisten verschmolzen. Zitat zur Modistin bei Wikipedia:
„Als duale Ausbildung wurde der Beruf in Deutschland 1938 erstmals staatlich geregelt. In dieser Zeit entstanden die Ausbildungsberufe der Hutgarniererin, des Hut- und Mützenmachers (1939) sowie des Putzmachers. Diese drei Berufe wurden 1959 im gemeinsamen Ausbildungsberuf des Putzmachers vereint und 1969 als Ausbildung zum Modisten aktualisiert.“
Wikipedia, Eintrag Modistin
Die Bezeichnung „Putzmacherin“ hat sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts etabliert. Johann Zedler spricht in seinem Universal-Lexikon 1741 noch von einer Putzfrau:
„Putzfrau: ein geschicktes Weibsbild, so nicht nur allerhand Putz und Galanterien zu verfertigen, sondern auch das zu Kindtaufen und Hochzeiten gehende Frauenzimmer selbst mit anzuzühen und auszuzieren pfleget.“
Zedler, Johann Heinrich: Grosses vollständiges Universal-Lexicon. Halle Leipzig 1741, Bd. 29, Spalte 1768
In dieser frühen Quelle sind wesentliche Tätigkeiten der Putzmacherin bereits beschrieben: Die Produktion von „Putz“ und die Dienstleistung des „Aufputzens“. Eine weitere historische Wurzel für das Berufsbild war die / der Hutstaffierer*in; nach Zedler (ebd.) ist der Hut-Staffierer „ein Cramer, der Hüte füttert, aufschläget, bordiret, mit einer Schnur versiehet, und also verkauffet, wobey er zugleich allerley Haus- und Schlafmützen, Strümpfe, Handschuhe und dgl. führet“. Bei Beckmann finden wir 1780 allerdings eine weniger wertschätzende Haltung: „Das Handwerk der Hutstaffirer, die ehemals viele Streitigkeiten mit den Hutmachern gehabt haben, gehört zu den entbehrlichen“ (Beckmann, Johann: Anleitung zur Technologie oder zur Kentniß der Handwerke, Fabriken und Manufacturen, vornehmlich derer, die mit der Landwirtschaft, Polizey und Cameralwissenschaft in nächster Verbindung stehn. Göttingen 1780). Der erwähnte „Cramer“ verweist auf den Handel, der sich bei der Putzmacherin auf den Verkauf von Putzwaren, also Bändern, Federn, künstlichen Blumen usw. konzentrierte.
Dieser Aspekt wird in der französischen Bezeichnung deutlich, bei der eine „Modiste“ in der Regel auch „Marchande de modes“ war (Langlade, Émile: La Marchande de Modes de Marie Antoinette. Paris 1911).
Ingrid Loschek benennt in ihrem Lexikon den umfassenden Anspruch:
Gegen Ende des 18. Jh. war die/der Putzmacher*in für die modische Ausstattung der Kleidung zuständig, da wegen der langwierigen und treuen Herstellung modische Aktualisierung nur in Details, speziell dem Aufputz, in Frage kam.“
Loschek, Ingrid: Reclams Mode- und Kostümlexikon. 3.Aufl. Stuttgart 1994
Die Putzmacherei hat im 19. JH einen grundlegenden Wandel erfahren. Die radikalen politischen Veränderungen der französischen Revolution und der napoleonischen Zeit erschütterten Europa. 1815 begann mit dem Wiener Kongress und der Gründung des deutschen Bundes eine neue Epoche, die vom Aufstieg des Bürgertums geprägt wurde und bis zum ersten Weltkrieg andauerte. Die Mode veränderte sich in diesem Zeitraum zum Teil mit rasanter Schnelligkeit; und Hüte waren unabdingbar Teil der modischen Ausdrucksformen.
Die Fähigkeit des rechten “Putzen” gehörte zur Bildung einer jeden guten Hausfrau. Dies bezeugt die entsprechenden hauswirtschaftliche Literatur der Zeit. Gleichwohl bot sich in der Putzmacherei für Frauen eine Chance, sich in einem Beruf selbständig zu machen, in dem es keine Konkurrenz durch dominante Männer gab. Putzmacherei bewegte sich außerhalb des Zunftwesens, das allerdings die Hutmacherei trug und schützte. Es scheint – abgesehen von einer Lieferantenbeziehung zum Produzenten von Rohstumpen – keine enge Verbindung zwischen beiden “Gewerken” gegeben zu haben.
Die Gestaltung speziell von Frauenhüten – sei es als Produktion, sei es als Modifikation – kristallisierte sich erst im Laufe des 19. Jahrhundert als eine der zentralen Tätigkeiten der Putzmacherinnen (im Gegensatz zum Hutmacher) heraus. Noch 1867 allerdings finden wir folgenden Eintrag in Pierer’s Universal-Lexikon:
„Putzmacherin, weibliche Person, welche bes. Kopfputz u.a. Galanteriearbeiten für Frauenzimmer u. seines Weißzeug verfertigt.“
Pierer’s Universal-Lexikon, Band 13, 1857, S. 711
Die Herstellung von Kopfbedeckungen war offensichtlich auch 1857 noch die einzige Tätigkeit einer Putzmacherin. Angesichts der Vielzahl von Hauben usw., die damals noch gefertigt wurden, ist das nicht ganz so erstaunlich. Der Damenhut entwickelte sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts „Erst jetzt konnte man bei den Kopfbedeckungen der Frau von einem Frauenhut im heutigen Sinne sprechen“, so Maria-Luise Reitz-Töller in ihrer Arbeit über die Putzmacherin, und sie differenziert:
„Dabei handelte es sich um Formen aus festem Material, die nach keinem Vorbild der Mode der männlichen Kopfbedeckungen gefertigt wurden und meist aus Kopf und Krempe bestanden. In ihrer Ausführung und Ausstattung handelte es sich um Hüte, die nur in der Garderobe der Frau zu finden waren.“
Reitz-Töller, Maria-Luise: Die Putzmacherin. Ein weibliches Handwerk. Mainz 1998
Eine auch heute noch aktuelle Definition der Putzmacherei findet sich Anna Pabst in einem der ersten Fachbücher zum Thema: „Das moderne Putzfach“:
„Das Putzfach repräsentiert den Teil der Modebranche, welcher sich mit der Herstellung von aller Art Hüten und Kopfbedeckungen für Frauen und Kinder beschäftigt. In der Hauptsache werden im Putzgeschäft die aus den Fabriken bezogenen Stroh- und Filzhüte garniert, sowie die vollständige Herstellung von Phantasie- und Atelierhüten ausgeführt. „
Anna Pabst, Das Moderne Putzfach, 1916
Nach 1914 erlangte die Putzmacherei nicht mehr dieselbe Bedeutung wie im 19. Jahrhundert, von relativ kurzen Blütezeiten in den 30er und 50er Jahren einmal abgesehen. Heute ist ein Hut eben nicht mehr unabdingbares Teil der Kleidung, sondern mehr oder weniger modisches Accessoire.
Männliche Putzmacher gab es übrigens auch, sie waren aber sehr selten. Der vielleicht berühmteste war wohl Heinrich Hössli (1784-1864), zu dem es auch einen Wikipedia-Eintrag gibt (Heinrich Hössli). Im späteren 19. Jahrhundert finden sich Männer als Inhaber von Putzgeschäften, also eher Unternehmer. Es erscheint aber gerechtfertigt, in den Beiträgen hier immer von der weiblichen Form zu sprechen – und wo nötig die männlichen Putzmacher als inkludiert anzusehen.
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Stimmt, im Wort „Kopfputz“ findet man den Begriff noch wieder… Interessante Gedanken, auch die Hypothese am Ende – ob es wohl Literatur dazu gibt? Verstehe ich das richtig – die Abgrenzung durch die Art des Kopfputzes wurde abgelöst durch die Möglichkeit, sich durch sein Auto, seine Frisur etc. zu unterscheiden bzw. auszudrücken?
Wenn auch die Berufsbezeichnung „Putzmacherin“ nur noch der Nachkriegsgeneration präsent sein mag, hat sich der „Kopfputz“ länger gehalten. Es ist wohl der „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ zu verdanken, dass Hüte als Distinktionsmerkmale der Schichten an Bedeutung verloren. Ob die im Wortsinne herausragende Stellung der Kopfbedeckung auch im übertragenen Sinne Leitfunktion hat, könnte eine Untersuchung wert sein. Gängige Hypothesen scheinen das Aufkommen des Automobils und individueller Frisuren zu sein.