Die Kunst der Putzmacherei: Praktische Lektionen für die Künstlerin und die Amateurin – so wäre wohl das Werk von Anna Ben-Yùsuf zu übersetzen, das 1909 in New York erschien. Der englische Titel lautet „The Art of Millinery. Practical Lessons for the Artiste & the Amateur“. Im Vorwort klärt sie dann auch gleich auf, was sie meint: „The design is the art of the work; the composition is the technical putting together of the design, most of which can be done by the “maker ”; but it takes an artist to evolve the design.“
Bei meiner Suche nach weiteren Informationen über die Autorin fand ich erstaunlicherweise umfangreiche Informationen auf der Seite des „New York Almanack„. Vielleicht ist dies auch der Tatsache geschuldet, dass sie die Mutter einer berühmten Tochter war, der Fotografin Zaida Ben-Yùsuf? Überraschend fand ich übrigens, dass keine Fotografie ihrer Mutter im Netz zu finden ist. War die Familie kein ausreichend interessantes Motiv? Oder sollte / durfte sie ihre Familie nicht fotografieren?
Im Folgenden fasse ich die Informationen des „Almanack“ einmal in einer deutschen Version zusammen.
Geboren wurde Ben-Yussuf (die Schreibweise mit und ohne Accent bzw. Bindestrich varriiert) als Anna Hermine Kind im November 1844 in Berlin. Mit 23 Jahren zog sie nach London, wo sie vermutlich das Putzmacherinnen-Handwerk erlernte. In London traf sie dann auch ihren spätere Mann, Mustafa Ben Yùsuf kennen, einen gebürtigen Algerier. Sie heirateten christlich 1869 in Brighton; der Bräutigam war schon in den frühen 1860er Jahren zum Christentum übergetreten.
Anna Ben-Yusuf hatt vier Kinder, die später berühmt gewordene Fotografin Zaida Ben-Yusuf war die Älteste. 1878 trennte sich Anna von ihrem Mann und zog mit den Kindern nach Ramsgate in Kent, wo sie mehrere Jahre als Gouvernante und Privatlehrerin arbeitete. Im Jahr 1888 verließ sie England mit ihren beiden ältensten Töchtern (die jüngeren blieben aus Geldgründen zurück kamen erst 1894 nach) und emigrierte in die USA. Zunächst arbeitete sie in einem Putzgeschäft in Boston, zog dann aber nach New York, wo sie seit 1905 als Lehrerin für Putzmacherei im „Department of Domestic Arts at Brooklyn’s Pratt Institute“ beschäftigt war.
1907 schließlich eröffnete sie eine eigene Putzmachereischule. In diesem Kontext erschien dann auch im Jahr 1909 das Buch, durch das ich auf sie aufmerksam wurde: The Art of Millinery: Practical Lessons for the Artiste and the Amateur. Es handelte sich um eine Folge von Lektionen, die je einen speziellen Aspekt der Putzmacherei behandelte.
Anna Ben-Yussuf starb kurz nach Veröffentlichung des Buches am 8. Dezember 1909 in New York.
„Das Buch“The Art of Millinery“ ist sehr übersichtlich gegliedert und formuliert sachlich und informativ:
Die Lektionen sind praxisnah und beschreiben präzise die unterschiedlichen Arbeitsschritte; sie wenden sich im Titel an die Künstlerin wie auch an die Amateurin. Das dürfte denn wohl auch die Zielgruppe der Schule von Anna Ben-Yussuf gewesen sein.
Besonders interessiert hat mich Lektion 15: „Starting a Millinery Business“.
„When one searches for the cause of individual failures it may usually be traced to ignorance of the business and its needs; a competent milliner, in a carefully selected location, who is a judicious manager, has ninety-nine chances in one hundred for success.“
Ben-Yussuf (1909): The Art of Millinery, S. 226
Nach dieser ungewöhnlichen Einleitung – warum startet sie mit den Gründen, die zu Misserfolg führen? – widmet sie sich im Detail den Fragen der Einrichtung, dem Umgang mit der Kundin, Ein- und Verkauf sowie Kalkulation, Buchhaltung und Arbeitsplatz. Die Hinweise sind auch hier wieder pragmatisch und hilfreich, wirken aber dennoch etwas beliebig in ihrer Auswahl. Aber das ist möglicherweise auch der Knappheit des Textes geschuldet.
„The Art of Millinery“ – das fachliche Resumee eines Lebens, das wohl geprägt war von Veränderung, von dem Wunsch, etwas zu erreichen. Ob Anna Ben-Yussuf zufrieden war mit sich und ihrer Welt?
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