Putzmacherei und Putzmacherin

Die Modistin – eine traurige Geschichte 1894

Bereits im Jahr 1898 werden im „Lexikon Deutscher Frauen der Feder“ insgesamt 29 Titel der Autorin Dora Duncker aufgeführt. Darunter findet sich auch die Erzählung „Die Modistin“, die einer Sammlung von Novellen und Texten ihren Titel gibt.

Titelblatt des Buches "Die Modistin" von Dora Duncker aus dem Jahr 1894
Titelblatt des Buches „Die Modistin“ von Dora Duncker aus dem Jahr 1894

In besagtem Lexikon, herausgegeben von Sophie Pataky, finden sich folgende Informationen:

„Duncker, Frau Dora, Berlin W, Hohenzollernstrasse 8, geboren in Berlin den 28. Marz 1855 als Tochter des bekannten Verlagsbuchhändlers Alex. Duncker, erhielt zuerst im elterlichen Hause, in dem ein reger, künstlerischer Verkehr herrschte, reiche Anregung und später bei ihrem väterlichen Freunde Karl von Piloty in München, wo sie mehrmals weilte. Daselbst knüpfte sie auch Beziehungen zu den Meistern in Kunst und Litteratur, die wohl ganz besonders sie selbst auf den Beruf der Schriftstellerin hinwiesen. Sie ist Mitarbeiterin der vornehmsten illustrierten Familienblätter, der Feuilletons grosser politischer Zeitungen, auch hat sie an einer Berliner politischen Zeitung die Stellung eines Theaterkritikers inne. Sie ist auch Herausgeberin des bekannten Kinderkalenders „Buntes Jahr“ und hat bis vor Kurzem die soziale und belletristische Monatsschrift „Zeitfragen“ redigiert.“

Dora Duncker starb 1916 in Berlin und scheint bis dahin weiter sehr produktiv gewesen zu sein; laut Wikipedia (Dora Duncker) verfasste sie 80 Theaterstücke, Romane, Novellenbände, Gedichtbände, Essays und weitere Texte, was auch immer letzteres heißen soll.

„Die Modistin: Novellen und Skizzen“ erschien 1894 in Berlin. Für eine Skizze ist das Werk zu lang; es handelt sich um eine Geschichte, die – durchaus spannend geschrieben – auch in jeder zeitgenössischen Familienzeitschrift wie z.B. der Gartenlaube hätte erscheinen können. Viel Moral, viel Standeskonflikt, viel Gefühl und Dramatik. Warum der Text dennoch auch heute interessant ist, davon später mehr.

Der Plot ist rasch erzählt. Ein Rechtsreferendar (Wolfgang) verliebt sich in eine Unbekannte, die sich als Modistin (Mathilde) entpuppt. Wie sich herausstellt, sind beide auf unselige Weise verbunden. Wolfgangs Vater war mit der Mutter von Mathilde liiert gewesen, hatte sie dann aber verlassen, um eine bessere Partie zu machen, die Mutter des Referendars. Er wurde Geheimrath; nach seinem Tod muss die Mutter (die Geheimräthin) ihren Lebensstandard deutlich reduzieren. Die beiden jungen Leute, Wolfgang und Mathilde, beschließen zu heiraten. Wolfgang wird allerding von der Mutter nach Hause zitiert, um die Verlobung seiner Schwester vorzubereiten. Diese Verbindung zerschlägt sich; die Hochzeit des Referendars mit der Modistin wird von der Mutter als nicht standesgemäß abgelehnt. Er kann sich der Familie nicht entziehen, die familiäre Verstrickung wiederholt sich: wie der Vater, so der Sohn. Wolfgang verlässt Mathilde und heiratet (später) eine gute Partie. Enttäuscht und tief verzweifelt erschießt sich die Modistin.

  • Einige Stellen dieser Novelle sind beachtenswert. So ist Wolfgang als Referendar mittellos, von der Unterstützung der verarmten Familie (=Mutter) kann er nicht leben und macht Schulden. Die Modistin wiederum ist fleißig und strebsam und hat es in jungen Jahren zu einigem Wohlstand gebracht. Die Frau ist erfolgreich im Beruf, und sie stellt ihrem Geliebten, der noch über kein eigenes Einkommen verfügt, ihre Mittel zur Verfügung. Geld spielte bei einer Verheiratung nicht die Rolle: “ … Mathildes erworbenes Vermögen war groß genug, um die Bedürfnisse des jungen Haushaltes bis auf Weiteres zu bestreiten …“
  • Der überholte Standesdünkel der Mutter vergiftet das Glück der Liebenden. Zwar ist die Familie verarmt, die Mutter weiß ihre wirtschaftliche Situation aber nur durch die reiche Hochzeit ihrer Tochter zu retten. Als sich diese zerschlägt, muss eben der Sohn für den standesgemäßen Erhalt der Familie sorgen.
  • Die Mutter ist in den Traditionen gefangen: „Die Geheimräthin war eine ebenso erbitterte als energische Gegnerin der Frauenfrage. Womit eine arbeitende Frau ihr Brot verdiente, galt ihr gleich. Schlimm genug, wenn es überhaupt der Fall war; sie stellte sich damit in Frau Horns Augen (= die Geheimräthin) ein für alle Mal abseits von der guten Gesellschaft, – sie war und blieb eine Ausgestoßene.“ (S. 34-35) Diese Position war wohl in der sogenannten besseren Gesellschaft noch weit verbreitet, wurde aber eben auch intensiv und grundsätzlich diskutiert.
  • Am Rande taucht noch ein weiteres Stereotyp auf. Die Putzmacherin (Mathilde) erzählt von ihrem Vater: „Er starb, als ich zehn Jahre alt war, und ließ uns trotz lebenslanger mühseliger Arbeit völlig mittellos zurück. Um existieren zu können begründete die Mutter mit ihrer alten Freundin Minchen Palm einen kleinen Putzladen, die Grundlage zu meinem heutigen blühenden Geschäft.“(S. 31). Die verlassene, unverschuldet verarmte Frau wird Putzhändlerin bzw. Putzmacherin – eine der für Frauen akzeptablen Berufstätigkeiten.

Die Novelle ist wirklich kein Muss für die literarische Bildung, und wer etwas über das Leben der Putzmacherinnen am Ende des 19. Jahrhunderts wissen möchte, ist mit diesem Werk nicht gut beraten. Unterhaltsam schreiben aber konnte Dora Duncker, und das ist ihr dann auch mit der „Modistin“ gelungen.

© Copyright Anno Stockem 2024

Literarische Bearbeitungen der Putzmacherei:

Wenn Ihnen der Beitrag gefallen hat, melden Sie sich gerne zum Newsletter von ansto.de an!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.