Putzmacherei und Putzmacherin

Die schöne Putzmacherin Käthchen Castleton

Käthchen ist ganz unstrittig ein alter deutscher Vorname – aber Castleton? Das klingt doch englisch … vielleicht eine Verballhornung von „Castle town“, Burgstadt? Des Rätsels Lösung – ist der Verlagsort: Die Erzählung erschien 1853 auf Deutsch in New York. Der ausführliche Titel lautet: „Käthchen Castleton, die schöne Putzmacherin, oder Die Schicksale eines jungen Mädchens im niederen Lebensstande, die an einem Tage zugleich Frau und Wittwe wurde“. Das volle Programm!, und (fast) alles auf dem Titelblatt! Bei dem mir vorliegenden Exemplar gibt es nämlich ein Titelblatt und ein Umschlagblatt, letzteres mit verkürztem Titel: „… oder die Frau und Wittwe eines Tages“ (und mit dem abweichenden Erscheinungsjahr 1854). Geschicktes Marketing, Cliffhänger nennt man das heutzutage. (Übrigens wurde 1856 eine „echte“ Kate Castleton geboren, die als Schauspielerin bekannt wurde.)

Dem ersten Kapitel wurde dann ein Schiller-Zitat vorangestellt, damit deutlich wird, dass man es hier mit Literatur zu tun hat:

„O zarte Sehnsucht, süßes Hoffen,
der ersten Liebe goldne Zeit;
das Auge sieht den Himmel offen,
es schwelgt das Herz in Seligkeit;
o daß sie ewig grünen bliebe,
die schöne Zeit der jungen Liebe“

Schiller (eigene Anmerkung: aus „Das Lied von der Glocke“)

Die Spannung wird weiter geschürt: das „ewig grünen“ steht doch in starkem Kontrast zu „Schicksal“ und „Wittwe“.

Genug der Vorrede. Die Erzählung spielt zunächst in Boston und bietet – inklusive einiger zeitlicher Ungereimtheiten – Trivialliteratur vom Feinsten. Die „etwa“ sechzehnjährige sehr hübsche fröhliche Putzmacherin (Käthchen) wird vom betrunkenen reichen jungen Florence belästigt. Der brave Handwerker (Smithson) kommt ihr zu Hilfe; im Handgemenge wird er niedergeschlagen; Florence, plötzlich ernüchtert, entschuldigt sich. Smithson begleitet Käthchen nach Hause, findet dort sehr wohlwollende Aufnahme durch deren Mutter und ihren Bruder (Johann), die in Smithson einen potenziellen Ehemann sehen. Käthchen hat sich indes in den schönen jungen Florence verliebt – ebenso wie umgekehrt. Florence „fensterlt“ bei Käthchen, die Liebenden werden allerdings beobachtet, und Johann schießt auf den Unbekannten.

Unterredung aus der Erzählung "Käthchen Castleton, die schöne Putzmacherin" von 1853
Unterredung aus der Erzählung „Käthchen Castleton, die schöne Putzmacherin“ von 1853

Florence kann verletzt entkommen. Seine Identität wird allerdings gelüftet, da er ein Taschentuch verliert; Johann erzählt die Begebenheit sogar dem zu Besuch kommenden Smithson. Als Johann sie weiter maßregelt und bevormundet, bricht Käthchen in eine Tirade gegen seinen Despotismus aus und beweist so ihre Eigenständigkeit. Am nächsten Tag kommt Florence in Begleitung einer schönen Frau in den Putzladen, in dem Käthchen beschäftigt ist. Sie ist durch das Erscheinen einer potenziellen Nebenbuhlerin am Boden zerstört, bis sich herausstellt, dass es sich um seine Schwester handelt.- Florence will kurzfristig nach New York umziehen – mit ihr! – , und beide heiraten dort, ohne dass Käthchens Familie davin erfährt.

Abbildung "Brautnacht" aus der Erzählung "Käthchen Castleton, die schöne Putzmacherin" von 1853
Abbildung „Brautnacht“ aus der Erzählung „Käthchen Castleton, die schöne Putzmacherin“ von 1853

In der Zwischenzeit hat sich Käthchens Bruder auf die Suche nach ihr gemacht und glaubt, dass sie entführt worden sei. Er erhält Unterstützung durch Smithson, und sie entdecken die frisch verheirateten Eheleute in ihrem neuen Zuhause.

Als Florence zu einer Waffe greift, um sich gegen die vermeintlichen Einbrecher zu wehren, erschießt Johann Florence. Als Johann merkt, was er getan hat, erschießt er sich auch noch selbst; Käthchen wird wahnsinnig und stirbt bald in einer Irrenanstalt, die Mutter stirbt aus Gram, Smithson kommt noch am besten weg und heiratet eine gute Partie.

Eine ziemlich wilde Geschichte! Interessant ist hier natürlich der Teil, der die „Putzmacherin“ betrifft, die also Käthchens Arbeitsbereich beschreiben. Sie arbeitet bei „Madam Blauvelt“; vermutlich soll der Name wieder französische Feinheit suggerieren, auch wenn „Madam“ ohne das obligatorische „e“ geschrieben wurde und auch im Englischen existiert. Als Käthchen zu spät kommt, wird sie als „lose Dirne“ abgekanzelt, was sie sich aber nicht gefallen lässt und gehen (= kündigen) will. Darauf lenkt Madam ein, um ihre beste Arbeiterin nicht zu verlieren (und tröstet sich mit französischem Brantwein).

Wieder einmal bietet diese Szene eine schöne „Phantasie“ weiblicher Emanzipation. Man kann der tyrannischen Arbeitgeberin die Stirn bieten, ebenso wie zu Hause dem übergriffigen Bruder! Madame Blauvelt wird später noch wenig schmeichelhaft beschrieben („eine dicke, gemein aussehende Französin, … kleidete sich sehr überspannt, … kaute Tabak, rauchte Cigarren“). Nachdem Käthchen später ganz plötzlich das Etablissment verlässt, um mit ihrem Florence nach New York zu gehen, wütet Madame Blauvelt und vergreift sich an einer ihrer schwächsten Mitarbeiterinnen, worauf sich alle anderen solidarisch gegen Blauvelt wenden und sie, ja, verdreschen.

Neben den Putzmacherinnen beschäftigt Madame Blauvelt übrigens auch eine Directrice, Madame Chatillon, die aber sonst wenig in Erscheinung tritt. Im Gegensatz zum Namen „Blauvelt“, möglicherweise „Blaufels“, ist der Name „Chatillon“ definitiv französisch.

Mehr gibt es über die Putzmacherei in dieser Erzählung leider nicht zu berichten, letztlich wird nur wieder das Klischee von der armen, hübschen Putzmacherin bedient. Sehr hübsch finde ich den Versuch, die Echtheit der Geschichte zu beweisen, indem das Titelbild als „Käthchen Castleton, von einem Dagerrotyp“ erläutert wird, also als Abbildung nach einer Photografie. Das passt nun so gar nicht, es handelt sich wohl um einen schlechten schlampigen Holzstich, bei dem der Hersteller (Künstler schreibe ich hier nicht) weder auf Proportionen noch auf Details (Fingernägel?) geachtet hat.

Über die Person des Autors, Georg(e) Thompson, ist leider nur wenihg in Erfahrung zu bringen. Er lebte von 1823 bis ca. 1873 (?), war von 1855-1858 Herausgeber der Sportzeitung „The Broadway Belle“ und schrieb – wohl ziemlich viel. Laut einer „Bibliography of antebellum City-Mysteries Fiction“, das ich im Anhang der Dissertation von Paul Joseph Erickson gefunden habe (Welcome to Sodom: The Cultural Work of City-Mysteries Fiction in Antebellum America. Austin 2005), hat er mindestens 33 einschlägige Werke verfasst. In einer anderen Bibliografie, dem Registrum Librorum Eroticorum von Rolf S. Reade, habe ich 26 Titel gefunden. Interessanter Weise überschneiden sich die Bibliografien nur zum Teil, so dass Thomspson insgesamt sicher ca. 50 Werke geschrieben haben wird. Hier ein paar besonders hübsche Titel:

  • Gay Girls of New York, or Life in the Metropolis
  • Adolene, The Female Adventurer
  • The Coquette of Chestnut Street
  • The California Widow, or Love, Intrigue, Crime and Fashionable Dissipation
  • Adventures of a Sofa or Drawing Room Intrigues

Vom Verlag George C. Holbrook finden sich nur wenige andere Titel. Drei Bücher habe ich aufgespürt, alle ebenfalls demselben Genre zuzuordnen, – überraschend lediglich, dass der Verlag auf Englisch und auf Deutsch publizierte, also nicht auf eine Sprache spezialisiert war:

  • „Experience and Personal Narrative of Uncle Tom Jones: Who was for Forty Years a Slave. Also the Surprising Adventures of Wild Tom, of the Island Retreat, a Fugitive Negro from South Carolina“, von Thomas H. Jones, 1854.
    Das Buch ist in vielen unterschiedlichen Auflagen erschienen, und die Geschichte des Autors ein bemerkenswertes Zeugnis früher schwarzer amerikanischer Literatur; mehr dazu findet sich unter Thomas H. Jones auf der Seite von Black Self-Publishing, „an ongoing collaborative research project. It is based on a working list of books that are known to have been or may have been self-published by people of African descent who resided in North America and either were born before 1851 or first published before 1877.“
  • „The life and adventures of Miss Emma Howard, a model of female virtue“, ohne Verfasser, von 1853
  • „The Brooklyn Mystery, Or The Flower of Love Lies Bleeding: Being the personal adventures and hair-breadth escapes of all the parties engaged in the late mysterious marriage in Brooklyn“, von Bob Archer 1854.

Das Erscheinen eines deutschsprachigen Buches in New York war im 19. Jahrhundert nicht ganz ungewöhnlich. Es gab in ganz Amerika eine große Zahl deutscher Immigranten. Im 11. Band von Pierer’s Universal-Lexikon von 1860 (das neben Altenburg übrigens auch New York als Verlagsort nennt) findet sich die Information, dass die Gesamtbevölkerung von New York 1.100.000 Einwohner betrug, davon 120.000 Deutsche. Das war mehr als in mancher deutschen Stadt, und Bücher in deutscher Sprache fanden mit Sicherheit ihre Leserschaft. Kleindeutschland hieß ein eigener Stadtteil in Manhattan, und auch in Boston gab es sicherlich eine große Anzahl deutscher Einwanderer. Bis auf ein wenig Lokalkolorit hätte die Erzählung auch in jeder anderen deutschen Stadt spielen können. Eine schöne Putzmacherin – gab es sicher überall.

Nachbemerkung: Meine neuerlichen Recherchen ergaben, dass das Werk zeitgleich auch auf Englisch erschienen ist. Ich finde als Titel „Kate Castleton, the Beautiful Milliner; or, The Wife and Widow of a Day. New York: George W. Hill, 1853“. Diese oder zumindest eine ähnliche Geschichte wurde auf Deutsch 1860 erneut veröffentlicht: „Merkwürdige Geschichte der schönen Putzmacherin Kate Castleton, oder: glückliche und unglückliche Schicksale eines jungen Mädchens, die durch einen abgefeimten Lüstling betrogen und ihrer friedlichen Heimath entrissen, ein Opfer seiner kluggelegten Fallstricke wurde. Barclay und Company, 1860“. Als Autor ist erneut George Thompson vermerkt.

Literarische Bearbeitungen der Putzmacherei:

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